EU-Kommissionsvize Frans Timmermans hat Versäumnisse bei der Bestellung der Corona-Impfstoffe eingeräumt. "Sowohl in Brüssel als auch in den Mitgliedstaaten" seien Fehler gemacht worden, sagte er dem "Tagesspiegel am Sonntag". Am Ende der Pandemie könne man Bilanz ziehen, um zu sehen, "was wir falsch und was wir richtig gemacht haben". Vorerst gehe es aber erst einmal darum, "dass ganz Europa Impfstoff bekommt".
Ein europäisches Vorgehen sei "auch im Interesse der reicheren Staaten" wie Deutschland erfolgt, ergänzte der Stellvertreter von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Blick auf die gemeinschaftliche Impfstoff-Bestellung. Die EU-Kommission hat von den vier in der EU zugelassenen Vakzinen insgesamt mindestens 1,4 Milliarden Dosen geordert - eigentlich mehr als genug für die rund 450 Millionen Europäer. Allerdings wird die Kommission seit längerem kritisiert, unter anderem weil ihr zögerndes Handeln und strategische Fehler bei der Bestellung von Impfstoffen vorgeworfen werden.
Harsche Kritik auch aus Österreich
Auch die Verteilung der Impfstoffdosen auf die Mitgliedstaaten wird in den Hauptstädten mancher EU-Staaten als ungerecht empfunden. So haben Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und seine Amtskollegen aus Bulgarien, Lettland, Slowenien, Tschechien und Kroatien in einem Brief an den EU-Ratspräsidenten und von der Leyen hochrangige Gespräche über eine gerechtere Verteilung der Corona-Impfdosen verlangt. Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident Viktor Orban schloss sich am Sonntag der Meinung von Kurz an, dass hier etwas "nicht stimmt", wie er im staatlichen Radio sagte.
Für Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) "steht außer Frage, dass Fehler bei der EU-Impfstoffbeschaffung passiert sind", wie sie am Sonntag in einer der APA übermittelten Stellungnahme festhielt. "Seit einem Jahr kämpft Europa gemeinsam gegen die Pandemie. Die Erforschung und gemeinschaftliche Beschaffung von Impfstoff war ein Schlüsselmoment in der Bekämpfung von Covid-19 und hat zweifellos gerade für kleine und mittlere Staaten wie Österreich Vorzüge gebracht. Die EU ist ein wichtiger Partner in der gemeinsamen Bekämpfung des Virus. Nichtsdestotrotz müssen wir stetig die Lehren aus der Krise ziehen", mahnte Edtstadler.
Zu Engpässen in vielen Ländern trägt auch die Verunsicherung wegen des Impfstoffes von AstraZeneca bei. Am Sonntag empfahl die Impfkommission Irlands ein Aussetzen der Impfungen mit dem Präparat des britisch-schwedischen Herstellers, bis Berichte aus Norwegen über vier Fälle schwerer Blutgerinnsel nach Verabreichung des Mittels geprüft seien. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA erklärte allerdings, dass es keine auffällige Häufung von Thrombosen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gebe und dass der Nutzen der Impfung mit dem AstraZeneca-Mittel größer sei als die Risiken.
In Italien wurde die Verabreichung einer bestimmten Charge des Impfstoffes nach "schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen" vorsichtshalber gestoppt. Zuvor hatten schon andere Länder das Mittel beziehungsweise eine Charge von AstraZeneca vorsorglich vom Markt genommen. Dabei wurde stets betont, dass ein Zusammenhang von Komplikationen mit dem Mittel nicht erwiesen ist. Andere Länder, darunter Österreich, verimpfen das Mittel weiter.
Massive Lieferprobleme bei AstraZeneca
Ein weiteres Problem ist die Lieferfähigkeit von AstraZeneca: Am Freitag hatte der Konzern angekündigt, statt 220 Millionen nur 100 Millionen Dosen bis zur Jahresmitte an die EU-Staaten liefern zu können. Mehrere deutsche Bundesländer etwa ziehen daraus Konsequenzen. Thüringen stoppte die Terminvergabe für Impfungen und verschob den geplanten Start von Impfungen bei Hausärzten. Sachsen-Anhalt stellt die Impfungen von Polizisten zurück. In Berlin werden neue Impftermine über eine längere Dauer gestreckt.
Der Chef der EVP-Fraktion im EU-Parlament, der deutsche CSU-Politiker Manfred Weber erklärte in der Zeitung "Welt am Sonntag", solange AstraZeneca seine Lieferzusagen nicht erfülle, "sollte die EU einen grundsätzlichen Exportstopp von in der EU produzierten Impfstoffdosen des Unternehmens verhängen". Denn es entstehe "der Eindruck, dass andere Länder gegenüber der EU bevorzugt" würden. Die EU hatte den USA und Großbritannien vorgeworfen, keinen im Land produzierten Impfstoff zu exportieren.