Eine andere Sicht auf die Demonstrationen von vergangenem Samstag in Wien als jene des Innenministers präsentierte heute FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl. Nicht er, sondern Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und sein Kabinett hätten Widerstand und Körperverletzung provoziert.
Kickl und FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer illustriertendiese Sicht mit etlichen Videos.
- Ein Video zeigt einen Demonstranten, der im Abseits eine Zigarette raucht und von Polizisten wegen der heruntergezogenen Maske zur Rede gestellt und angezeigt wird.
- Ein Video zeigt einen Rollstuhlfahrer, der von der Polizei in Richtung Donaukanal abgedrängt wurde und aus dem Rollstuhl fiel.
- Ein Video zeigt eine ältere Frau ("bin 65 Jahre alt, habe mein ganzes Leben lang gearbeitet"), die in Handschellen abgeführt wird, nachdem sie sich von Polizisten bedrängt gefühlt hatte und davongehen wollte.
- Ein Video zeigt die "Erstürmung" des Gebäudes der Wiener Städtischen, das eher darauf hindeutet, dass jemand von innen die Tür öffnete, weil er das Gebäude verlassen wollte, und die Demonstranten hineindrängte, weil sie einen Ausgang in die dahinterliegende Parallelstraße vermuten. Dass die Polizei ein ganz anderes Video veröffentlich habe, ein Wärmebildvideo, das an die Verfolgung von Flüchtlingen erinnere, veröffentlicht habe, sei Kalkül.
- Ein Video zeigt die Verletzung eines Demonstranten als Folge dessen, dass die Polizei den Menschen den Rückweg aus dem Gebäude versperrte. "Er wurde ohne Not verletzt, verantwortlich ist die Polizei, aber davon lesen und hören wir nichts." Über die Verletzung des Wachmannes wisse man noch nichts Näheres, aber in beiden Fällen seien die Verantwortlichen auszumachen und zu bestrafen.
Der Weg vieler Demonstranten führte, ausgehend von der FPÖ-Demonstration am Heldenplatz, durch die Innenstadt bis hin zum Prater. Als sie zurückkehren wollten in die Innenstadt, so Kickl, sei ein "geordnetes Abströmen" dadurch vereitelt worden, dass über eine Strecke von mehr als drei Kilometern hinweg sämtliche Brücken über den Donaukanals gesperrt waren.
Die Menge sei über Stunden hinweg in Richtung der Brücke beim Schottentor dirigiert und am Nachhausegehen gehindert worden, diese Brücke sei aber auch gesperrt gewesen. Erst dadurch habe sich die Menge verdichtet, sei letztlich in die Enge gedrängt und "eingekesselt" worden. Genau diese unfreiwillige Nähe habe zu jener Verdichtung geführt, die den einzelnen Menschen dann zum Vorwurf gemacht wurde und zu Anzeigen wegen Unterschreitung des Mindestabstandes geführt habe.
Kickl sieht Nehammer-Direktive
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) habe von "gewaltbereiten Hooligans und Rechtsextremen" gesprochen. Die Stimmung sei eine andere gewesen: Musik, Tanz, ein Spaziergang eben. Auch um diese Behauptung zu unterstreichen, gab es ein Video.
Das Fazit Kickls:
- Die Wirklichkeit weicht stark ab von dem, was als Wirklichkeit ausgeben wurde. Bei der Darstellung sei schwerst manipulativ gearbeitet worden.
- Die Wiener Polizei verfüge über eine außerordentliche Expertise im Umgang mit großen Menschenmengen und der Ableitung starker Besucherströme, etwa bei Konzerten oder Fußballspielen. Es sei ihr offenbar untersagt worden, entsprechend vorzugehen. Ein "Einkesseln" gebe es üblicherweise nur, um gewaltbereite Menschen zu isolieren und ihre Identität festzustellen. Gewaltbereite Menschen habe er am Samstag keine gesehen.
- Die Direktive, nicht, wie gewohnt, vorzugehen sondern alles in Richtung Einkesselung und Eskalation zu steuern, sei vom Kabinett des Innenministers ausgegangen.
- Innenminister Karl Nehammer trete seit Wochen und Monaten als "Scharfmacher" auf und habe bereits mehrfach erkennen lassen, dass ihm das bisherige Vorgehen der Polizei "zu friedlich" sei.
Es sei ihm ein Anliegen, darauf hinzuweisen, "dass sich die Mehrheit der Polizisten korrekt und anständig verhält", so der ehemalige Innenminister Kickl. "Sie sind in einem Dilemma, und verantwortlich dafür ist die politische Spitze im Innenministerium".
Das Motiv sieht Kickl darin, "dass die dort handelnden Personen nicht mit der zunehmenden Regierungskritik umgehen können". Wovon im übrigen auch jeder Journalist ein Lied zu singen wisse, in dessen Redaktionsstube hineininterveniert werde.
"Das ist eine Frechheit"
Kickl zitierte diesbezüglich auch einen AV der Wiener Polizei, wonach die Polizisten darüber informiert wurden, dass die Aufrufe zur Teilnahme an Demonstranten vor allem an "Personen aus der Szene der Corona-Maßnahmen-Gegner, der Corona-Leugner und der Regierungskritiker" gerichtet seien. "Das ist eine Frechheit. Was erlaubt sich diese Behörde, Regierungskritiker in einen Topf mit Corona-Leugnern zu werfen und als gemeinsame Szene zu verunglimpfen?"
Die Retourkutsche Kickls auf den Vorwurf Nehammers, er, Kickl, habe eine rote Linie überschritten:
- Dem Innenminister sei die "regierungskritische Bewegung aus der Zivilgesellschaft" ein Dorn im Auge. Er habe es nachweislich zu wenige Anzeigen bei Corona-Demos gegeben, worauf die Direktive ergangen sei, diese durch die beschriebene willkürliche Vorgangsweise zu erhöhen.
- Der Innenminister als Dienstgeber der Polizisten habe gezielt in Kauf genommen, dass mit der unangebrachten Einkesselung Widerstand und schwere Körperverletzung provoziert würden.
- Etliche Maßnahmen hätten nur dazu gedient, bestimmte Bilder zu generieren.
"Würde Küssel gar nicht erkennen"
Kickl vergaß nicht, "jede Form von Gewalt" zu verurteilen. Den Vorwurf Nehammers, er selbst habe mit seiner aggressiven Ansprache am Heldenplatz die Stimmung angeheizt, wies er zurück. Die Menschen, die auf der Straße waren, seien Leute, die materiell und emotional um ihre Existenz kämpften. "Ich höre auf die Menschen, daher war ich auch dabei."
Rechtsextreme habe er jedenfalls keine gesehen. Gottfried Küssel, der ihm am Heldenplatz gelauscht haben soll, "würde ich gar nicht erkennen. Dem geben nur Sie immer wieder eine Plattform", gab er den Ball an die Journalisten zurück.
Nicht er habe eine rote Linie überschritten, sondern die Bundesregierung, namentlich Nehammer, schloss Kickl. Er gebe zu, dass die Linie zwischen gewähren lassen und strafen bei den Corona-Demonstrationen eine schwierige sei. Aber: "Es kann nicht sein, dass sich einer aufführt wie der Elefant im Porzellanladen, nur weil ihm das Wasser bis zum Hals steht."
Wiener Polizei widerspricht Anschuldigungen
Bei der Wiener Landespolizei gibt man sich auf Nachfrage der "Kleine Zeitung" gelassen, was die von Kickl geäußerten Anschuldigungen und die vorgelegten Videos betrifft. Dass die Polizei bei einer Demonstration mit Straßensperren agiert, sei nichts Ungewöhnliches. Damit wolle man den Zug "lenken" und verhindern, dass die Teilnehmer ungeordnet durch die Stadt ziehen und ein mögliches Verkehrschaos verursachen.
Angesprochen auf die Handyvideos heißt es dort, dass es sich hier lediglich um Momentaufnahmen handle, die "ein verzerrtes Bild wiedergeben könnten". Zu einzelnen von der FPÖ vorgelegten Videos wolle man sich nicht äußern. Nur so viel: "Betroffene, die sich von einer Amtshandlung in ihren Rechten eingeschränkt fühlen, können und sollen sich in Form einer Maßnahmenbeschwerde an unser Bürgerinfobüro wenden. Solche Fälle werden nicht über die Medien geklärt."
675.000 Euro teurer Einsatz
Angesprochen auf das Video der 65-Jährigen erklärt ein Wiener Beamter, dass die Optik zwar nicht die beste sei. Aber: "Die Frau wollte sich klar einer Anhaltung entziehen. Was sollen die Beamten da tun? Das Alter einer Person kann kein Grund sein, sie nicht auf Grund einer fehlenden Atemschutzmaske anzuhalten."
Das Innenministerium hat indes eine erste Kosteneinschätzung für den Einsatz am Samstag vorgelegt: Inklusive Sachaufwand dürfte dieser rund 675.000 Euro teuer gewesen sein.