Frau Meirlaen, Sie waren Lehrerin und leben in Reyðarfjörður in Islands Osten, wo Sie Gästehäuser betreiben: Wie erlebten Sie und ihr Mann Jón, ein Zimmermann (großes Bild), Ihr Land und die Corona-Pandemie?
MARLIN MEIRLAEN: Was mir am meisten auffiel: Alle im Land taten ihr Möglichstes, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Wir hatten auch kaum Proteste gegen all die Maßnahmen. Natürlich hatten wir auch Vorteile durch unsere isolierte Lage im Atlantik. Abgesehen von einigen wenigen positiven Tests Einreisender haben wir im eigenen Land quasi seit Wochen keine Neu-Infektionen.

Welches Zeugnis stellen Sie der Regierung rund um Ministerpräsidentin Katrín Jakobsdóttir aus?
Nun, die meisten hier sind mit den Politikern zufrieden. Ich höre auch immer wieder, dass, egal wie gut die Zahlen sind, die Leute auch zukünftig sehr auf Sicherheit setzen wollen. Wir Isländer sind bereit, nun weiter die nötige Geduld zu zeigen.

Marlín Meirlaen und ihr Mann Jón vor ihrem Gästehaus
Marlín Meirlaen und ihr Mann Jón vor ihrem Gästehaus © (c) Marlín Meirlaen



Haben Sie und Ihr Mann die Stille genossen, nachdem Island über Jahrzehnte von den Touristen geradezu überrannt worden war?
Die Menschen haben den speziellen Sommer ausgekostet. Ruhe und kein Verkehr, wohin man auch kam. Leben am Ende der Welt und nahe an der Natur: Ich mag das und konnte es genießen. Aber: Keine Einnahmen mehr in einem Land, das zu 75 Prozent vom Geld aus dem Tourismus abhängig ist! Sehr viele haben ihre Jobs verloren. Einige kamen nach Reyðarfjörður, wo es wegen einer Aluminiumfabrik noch Arbeit gibt. 2005 begannen wir mit fünf Zimmern, 2017 waren es 40 in drei Gebäuden. In den Jahren vor der Pandemie empfingen wir in unseren Gästehäusern im Durchschnitt 3000 bis 5000 Gäste. 2020 hatten wir nur noch 300 – die meisten aus Island.



Wie normal ist der Alltag in Island mittlerweile geworden?
Restaurant und Bars dürfen nun wieder bis 23 Uhr geöffnet sein. 50 Personen dürfen zusammenkommen, allerdings mit Maske und einem Meter Abstand. Bei Sportveranstaltungen dürfen – unter den gleichen Regeln – maximal 200 Menschen sein. Man kann auch wieder in Swimmingpools gehen, Schwimmbäder und Geothermalbecken sind in Island bekanntlich sehr beliebt. Besucht werden sie allerdings noch von relativ wenigen Personen. Wenn man jetzt nach Reykjavík kommt, vergisst man beinahe schon auf seine Maske – noch im Herbst war die Lage dort äußerst kritisch! Wir wissen aber, dass sich alles relativ schnell wieder ändern kann, selbst hier am Ende der Welt. Das Besondere an Island: Wir standen das zusammen durch! So oder so: Dass wir auf strenge Quarantäneregeln für Einreisende setzten, war das Richtige.



Wie geht es mit den Impfungen gegen Corona in Island voran?
Relativ langsam. 32.000 Dosen wurden bislang verabreicht - bis Ende März sollen es 35.000 sein, bis Ende Juni dann 190.000. In der zweiten Februarwoche bekamen immerhin 12.000 Menschen in Reykjavík (Islands Hauptstadt hat 123.000 Einwohner, Anmerkung) ihre erste Impfung. Jene, die im Gesundheitsbereich arbeiten, haben bereits ihre zweite Impfung bekommen. Wir – Jón wurde gerade 79 Jahre alt, ich werde 68 – wissen selbst noch nicht, wann wir an der Reihe sein werden.

Leben am Ende der Welt und nahe an der Natur
Leben am Ende der Welt und nahe an der Natur © (c) Marlín Meirlaen



Sie haben Kinder – konnten Sie sie während der Pandemie sehen?
Meine Töchter, die im Ausland leben, waren im vergangenen Juli und August hier. Sie und meine Enkelkinder konnten in Island ihre Batterien aufladen. Das ganze Land gehörte plötzlich uns. Danach wurden die Regeln geändert: Man musste für fünf Tage in Quarantäne.

Ist die wirtschaftliche Lage mit jener in der Finanzkrise in den Jahren 2008 bis 2011 vergleichbar?
Damals verloren hier viele Menschen alles, was sie hatten. Jetzt hat man zumindest das Gefühl, dass die Regierung alles in ihrer Macht Stehende tut, um die Situation zu verbessern. Für junge Familien war es 2008 noch schlimmer, obwohl der Kampf auch jetzt hart sein wird: Noch nie war die Arbeitslosigkeit in Island so hoch wie jetzt!

War das am Ende der Preis dafür, Corona bewältigt zu haben?
Wir sagen: Es ist besser, einen harten, aber überschaubar langen Kampf zu haben. Sonst wären wir auch nicht dort, wo wir jetzt sind. Und: Wenn wir Dinge früher als andere wieder unter Kontrolle bringen, können wir auch früher damit anfangen, unsere Wirtschaft wiederzubeleben. Aber ja: Auch wir mussten ein Haus verkaufen und saßen 2020 meist in einem mehr oder weniger leeren Gästehaus. Das war wohl der Anfang vom Ende des "Hjá Marlín" (Name der Unterkunft, Anmerkung) und für ältere Menschen, wie wir es sind, ein Vorgeschmack auf den Ruhestand. Aber das Leben geht weiter – auch hier in Island!