Ein sich über die Covid-19-Pandemie stetig entwickelndes Eskalations-Drehbuch rund um Verschwörungsmythen und Co im Internet nimmt Andre Wolf von "mimikama - Verein zur Aufklärung über Internetmissbrauch" wahr. Mittlerweile führe das bis zur Androhung von Gewalt bzw. deren Ausübung etwa gegenüber Forschungsinstituten oder Einzelpersonen. Die Initiative "Österreich impft" möchte nun in Zusammenarbeit mit mimikama Online-Mythen zum aktuellen Hauptstreitthema "Impfen" begegnen.

Laut Wolf habe man mit der einschlägigen Mythenbildung schon seit Beginn der Pandemie "jeden Tag zu kämpfen". Verbreitung fänden die teils bizarren Gedankengebäude vor allem auf Social Media-Plattformen und mittlerweile auch verstärkt über Gruppen in Messenger-Diensten, wo "viel Manipulation und Desinformation" kursiere. Man könne hier mittlerweile ein klares "Eskalationsstufenmodell" nachvollziehen.

Stille-Post-Modus

In der ersten Pandemiephase seien eher im Stille-Post-Modus diverse "Geschichten" kursiert, etwa dass eine aufgeschnittene Zwiebel im Zimmer vor der Virus-Verbreitung schützt. In der zweiten Phase mischten sich vor allem "pseudowissenschaftliche Einzelmeinungen" von Medizinern oder Wissenschaftern in den Diskurs, die durch eine Art alternatives Nachrichtennetzwerk derart gepusht wurden, dass sie auf manche als gleichwertig zum wissenschaftlichen Grundtenor eingestuft wurden, so Wolf am Montag bei einer Pressekonferenz von "Österreich impft" in Wien.

In der Folge bekamen - etwa vorangetrieben durch so manchen Prominenten, wie etwa den deutschen Sänger Xavier Naidoo - u.a. Verschwörungstheorien um Eliten, die Kinder gefangen halten und quälen, um sich jung halten, auch im Zusammenhang mit Covid-19 ins Spiel. Hier handle es sich um Mythen, die sich alter Erzählmuster bedienen und daher gut als "Einstieg in Verschwörungstheorie" funktionieren, so Wolf. Rund um solche Ideen kreisen auch Mythen zur Impfstoffentwicklung, wie dass Vakzine aus abgetriebenen Föten gemacht würden oder die Impfungen Menschen unfruchtbar machen sollen. Das sei "natürlich Unsinn", es gelinge aber, mit derartigen Falschmeldungen Bilder im Kopf aufzubauen, die eine gewisse manipulative Wirkung entfalten können, so der Blogger und Autor.

Gerne aufgenommen würden momentan verkürzte Überschriften etwa zu vermeintlich mit Covid-19-Impfungen in Verbindung stehenden Todesfällen. Die weiteren Informationen im Fließtext würden vielfach schon gar nicht mehr gelesen. Auch unbedacht, scherzhafte Aussagen und Online-Beiträge würden teils für bare Münze genommen und auch noch kräftig weiterverteilt, wenn deren Urheber sie schon lange als Humbug entlarvt haben. So geschehen etwa im Zusammenhang mit der kruden These, dass das Virus über Funkmasten verteilt würde, sagte Wolf.

Falschmeldungen, die zu Gewalt führen

Mittlerweile sieht der Content- und Social Media-Koordinator von mimikama die Bewegungen aus dem Netz auch stärker in der Realität ankommen: Derartige Online-"Trollereien" motivieren durchaus einige Leute dazu, sich an Demonstrationen "auch gegen sinnvolle Maßnahmen" zu beteiligen. In der nunmehr "vierten Eskalationsstufe" werde "durch Mythen und Falschmeldungen auch Gewalt ausgelöst", sagte Wolf: "Mittlerweile häufen sich Drohmails an Wissenschafter und auch an Mediziner." Das verunsichere Menschen stark, die sonst nicht täglich mit Online-Anfeindungen zu tun haben.

Es finde "Gewalt aber auch wirklich statt". So gab es in Deutschland etwa im Oktober einen Brandanschlag auf ein Gebäude des Robert-Koch-Instituts. Man verzeichne auch vermehrt Angriffe auf Sicherheitspersonal, das auf Maskenpflicht hinweist. Wie weit - abseits von Corona - Radikalisierung durch Verschwörungsmythen und Falschmeldungen theoretisch gehen kann, zeige letztendlich auch der Sturm auf das Kapitol in Washington. "An der Stelle stehen wir gerade", so Wolf.

Es gehe daher nun verstärkt darum, "Mythen aufzuklären" und dagegen zu halten. Tauchen harmlosere derartige Thesen etwa im Familienkreis auf, helfe meist schon ein Hinweis auf Urheberschaft oder andere gesicherte Informationen. Im privaten Bereich, könne man die Weiterverbreitung solcher Theorien auch ein Stück weit unterbinden, in dem man "kleine Abkommen schließt", etwa ein bestimmtes Thema möglichst auszusparen, meinte der Experte.

Letztendlich gehe es um die Verbesserung von Medienkompetenz, indem man das eigene Medienverhalten kritisch hinterfragt. In weiterer Folge sollte man sich überlegen, wer hinter dieser oder jener Plattform steht, ob es ein transparentes Impressum gibt oder ob eine Information völlig alleine im medialen Raum steht. Oft helfe auch eine kurze Suche, wo gesehene Bilder oder Videos noch auftauchen, und ob diese vielleicht aus dem Zusammenhang gerissen oder manipuliert sind.