Seit mehr als einem Jahr bestimmen das neuartige Coronavirus und seine Folgen die Weltgeschicke. Die Frage, woher der zuerst im chinesischen Wuhan festgestellte Erreger ursprünglich kam, ist aber weiter unbeantwortet. Nach langen Verzögerungen soll am Donnerstag eine WHO-Mission starten, bei der internationale Experten in der Volksrepublik nach den Ursprüngen von SARS-CoV-2 suchen. Fachleute befürchten allerdings, dass es für die Lösung dieses Rätsel zu spät sein könnte.
Am 11. Jänner 2020 wurde das erste Todesopfer durch Covid-19 gemeldet. Der 61-jährige Mann war regelmäßig auf dem Tiermarkt in der chinesischen Millionenmetropole Wuhan gewesen, der später wegen seiner Rolle in der Corona-Tragödie traurige Berühmtheit erlangte.
Auch Experte des Robert-Koch-Instituts in Berlin dabei
Weltweit fast zwei Millionen Corona-Tote später hat Chinas Nationale Gesundheitskommission nun endlich den Starttermin für die Aufklärungsmission der Weltgesundheitsorganisation verkündet. Der Besuch der zehn internationalen Experten, darunter Fabian Leendertz vom Robert-Koch-Institut in Berlin, soll am Donnerstag beginnen.
Es herrscht weitgehend Einigkeit, dass der weltweit erste bekannte Covid-19-Ausbruch sich Ende 2019 auf dem Tiermarkt in Wuhan ereignete. Es wird angenommen, dass das Virus von einer Fledermausart auf eine andere Tierart übersprang und von ihr auf den Menschen.
Weiter wurde der Pandemie-Ursprung aber nicht zurückverfolgt. Es gibt Hinweise darauf, dass die Pandemie noch weiter zurückreicht - und Verschwörungstheorien wie etwa, dass das Virus aus einem Labor in Wuhan kam.
Führende Virologen sagen, die Identifizierung der Pandemie-Quelle sei entscheidend, um künftigen Ausbrüchen mit Maßnahmen wie Jagdverboten für bestimmte Wildtierarten früh entgegenzuwirken. Die chinesische Regierung hat die Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus zwar früher gemeldet als den SARS-Ausbruch 2002/2003 und laut WHO immerhin am 12. Jänner 2020 die Gensequenz von SARS-CoV-2 veröffentlicht.
Allerdings versuchten die Behörden in Wuhan zuerst, den Ausbruch zu vertuschen. Später verschwendeten sie wertvolle Wochen im Kampf gegen das Virus, indem sie eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung dementierten.
Schon früh nannten die chinesischen Behörden den Huanan-Markt in Wuhan als Ausbruchsort. Chinesische Daten vom Jänner 2020 zeigen aber, dass bei einigen der ersten Infektionen keine Verbindung zu dem Tiermarkt festgestellt werden konnte.
Später schwenkte die Volksrepublik um und verbreitete Thesen, dass das Virus seinen Ursprung in anderen Ländern habe. Informationen über bei Tieren und in der Umwelt entnommenen Proben, die bei der Wahrheitsfindung weiterhelfen könnten, veröffentlichte China nur spärlich.
Experten befürchten, dass die Behörden in einer Panikreaktion am Anfang des Corona-Ausbruchs bedeutende Hinweise verschwinden ließen. Sie hätten "in der Anfangsphase keinen tollen Job" gemacht", sagt Peter Daszak, der die auf Infektionskrankheiten spezialisierte Nichtregierungsorganisation EcoHealth Alliance leitet.
Auch Journalisten und Insider, die über den Corona-Ausbruch berichteten, wurden mundtot gemacht. Die Regierung in Peking wolle womöglich Fehler vertuschen, um einen Ansehensverlust im In- und Ausland zu vermeiden, meint der Epidemiologe Daniel Lucey von der Georgetown University in Washington.
Die These vom Wuhaner Tiermarkt als Ursprungsort der Corona-Pandemie findet Lucey "überhaupt nicht plausibel". Schließlich habe sich SARS-CoV-2 im Dezember 2019 bereits schnell in Wuhan ausgebreitet. Und ein Tier-Virus brauche Monate, wenn nicht Jahre für die notwendigen Mutationen, um hochansteckend von Mensch zu Mensch zu werden.
Daszak glaubt weiter daran, dass die Wissenschaftler das Rätsel vom Ursprung der Corona-Pandemie noch lösen können. Die Chancen dafür haben sich aus seiner Sicht durch die Abwahl von US-Präsident Donald Trump sogar vergrößert, der Peking mit Verschwörungstheorien und Begriffen wie "China-Virus" die Schuld an der Pandemie gegeben und die Frage nach deren Ursprung dadurch politisiert hatte.
Seuchenexpertin Diana Bell von der britischen Universität East Anglia ist weniger zuversichtlich. Die Suche nach den ursprünglichen Wirtstieren von SARS-CoV-2 sei aber auch nicht so entscheidend. Für sie liegt der Schlüssel in einem Verzicht: "Wir müssen mit dem Handel mit Wildtieren für den menschlichen Konsum aufhören."