Warum ist der Zugang für weniger entwickelte Länder zu einem Impfstoff so schwierig?
Bachmann: Die Faktoren, die dazu beitragen, dass der Zugang zu Coronavirus-Werkzeugen - neben Impfstoffen muss man auch Diagnostika, medizinische Infrastruktur etc. mitdenken - limitiert ist, sind zum einen die sehr hohen Preise und zum anderen die eingeschränkte Verfügbarkeit.
Diese Situation könnte man durch das Aussetzen von Patenten für die Zeit der Pandemie entschärfen?
Ein offizieller Antrag der beiden Länder Südafrika und Indien für eine Ausnahmegenehmigung des TRIPS-Abkommens, das Patente und geistiges Eigentum regelt, beinhaltet den Verzicht auf einige Bestimmungen des Abkommens in den Bereichen der Prävention, Eindämmung und Behandlung von Covid-19. Das würde bedeuten, dass bis die Pandemie unter Kontrolle ist, die Patente auf CoV-Technologien ausgesetzt werden würden. So könnte man Produktionskapazitäten ausweiten und leistbare Preise sicherstellen.
Selbst wenn Patente ausgesetzt werden, könnte der Impfstoff so leicht woanders produziert werden, basiert er doch auf neuer mRNA-Technologie?
Die Impfstoffplattformtechnologie macht keinen großen Unterschied, die Hürde bei mRNA-Impfstoffen ist nicht höher als bei etablierten Technologien.
Hat dieser Antrag Aussicht auf Erfolg?
Die Wasserscheide liegt ganz klar bei der WTO in Genf, bei der der Antrag eingegangen ist. Dort sitzen auch jene Länder mit am Tisch, in denen diese pharmazeutischen Industrien angesiedelt sind. Realistischerweise ist zu befürchten, dass diese Länder ihr nationales Interesse durchsetzen werden.
Diese Woche stellte die EU 500 Millionen für COVAX. Wie viel Hoffnung setzen sie in die Impfinitiative der WHO?
Die Pandemie ist nur dann besiegt, wenn sie überall besiegt ist, COVAX ist noch immer unterfinanziert. Das Budget zur Beschaffung der Impfstoffe ist also schon begrenzt, zudem muss der Impfstoff auch verteilt werden und ist nur so wirksam, wie er auch verimpft werden kann.
Wie kann dieses Verimpfen in Entwicklungsländern praktisch funktionieren?
Das Impfen ist ein ressourcenintensiver Prozess, d. h. Entwicklungsländer werden zusätzliche Ressourcen benötigen. Die Impfung erfordert sehr gut angepasste Strategien, es gibt keine Blaupause, die man über alle Länder stülpen kann. In Kriegsgebieten kann es vorkommen, dass Menschen über Nacht fliehen müssen, wir hoffen noch auf einen Single Shot Impfstoff. Denn je komplexer die Logistik, desto schwieriger wird es in infrastrukturlosen Ländern. Es lässt sich nur mit vielen Ressourcen lösen. Daher bedarf es internationaler Zusammenarbeit, denn wenn alle vorhandenen Ressourcen nur in die CoV-Pandemie investiert werden, geht das auf Kosten der medizinischen Basisversorgung der Menschen. Zum Beispiel: Bei der Ebola-Epidemie wurde dieser alles untergeordnet. Am Ende starben mehr Menschen an Masern als an Ebola, weil die Grundimmunisierung von Kindern ausgesetzt wurde. Auch Sierra Leone hat sich noch immer nicht von der Ebola-Epidemie 2014-2016 erholt, hier gibt es nach wie vor eine Übersterblichkeit in allen Altersgruppen. Das muss uns eine Lehre sein.
Aber die Menschen wären bereit, sich impfen zu lassen?
Alle Maßnahmen erfordern das Vertrauen der Menschen. Auch bei der Ebola-Epidemie gab es Impfskepsis. Wir haben bemerkt: Sehr vieles was Skepsis war, war zu wenig Information. Wir müssen umschalten von ständigem Senden, auch auf Empfangen. Zuhören und mit den Menschen über ihre Bedenken sprechen ist essentiell. Momentan hören wir sehr viele technische Informationen, wie Strategien, Zulassungsverfahren, etc. Wir Menschen, die über ein mögliches Impfen entscheiden, brauchen aber ganz andere Informationen. Hier müssten Politiker in die zweite Reihe zrücktreten und diejenigen vor den Vorhang holen, die die Menschen bei Gesundheitsfragen konsultieren: Ärzte und Mediziner.
Sie waren schon zur Bekämpfung einer Epidemie in Entwicklungsländer, mit und ohne Impfstoff.
Auch der Ebola-Impfstoff wurde in kurzer Zeit entwickelt, die Blaupause der beschleunigten Entwicklung der Impfstoffe wurde für diese Krankheit entwickelt. Die so schnelle Entwicklung eines CoV-Impfstoffes wäre nie in diesem Tempo möglich gewesen, hätten wir die Erfahrung von Ebola nicht gehabt. Als ich dann den Ebola-Impfstoff zum ersten in den Händen gehalten habe, hatte ich Gänsehaut. Der Impfstoff löste auch bei Ebola die Hoffnung aus, dass er das Problem vollständig lösen könne. Wir müssen uns aber vor Augen halten: Der Impfstoff ist kein Allheilmittel, ohne einem Mix aus anderen Maßnahmen werden wir die Pandemie nicht besiegen können. Und sicher sind wir nur, wenn alle sicher sind.
Simon Rothschedl