16 Einwohner pro Quadratkilometer, eine Fläche fast so groß wie Deutschland. Finnland gehört mit etwa 5,5 Millionen Einwohnern zu den am dünnsten besiedelten Ländern Europas. Das skandinavische Land kommt im Vergleich zum Rest der Welt sehr gut durch die Coronakrise - zurzeit mit Maßnahmen, aber ohne Lockdown. Finnland hat die derzeit niedrigsten Neuinfektionszahlen Europas, laut der EU-Gesundheitsbehörde ECDC lag die Zahl in den vergangenen 14 Tagen bei 54,5 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Auf die Bevölkerung gerechnet ist das nur knapp ein Sechstel des Wertes von beispielsweise Deutschland.
Doch auch in Finnland wird nun nachgeschärft, auch wenn sich die neuen Beschränkungen in Helsinki in unseren Ohren sehr locker anhören. Die Teilnehmerzahl von öffentlichen Veranstaltungen in Innenräumen wird ab Montag für drei Wochen auf maximal 20 Personen begrenzt, wie Helsinkis Bürgermeister Jan Vapaavuori am Freitag auf einer Pressekonferenz sagte. Bei privaten Veranstaltungen dürften nicht mehr als zehn Gäste dabei sein. Team- und Kontaktsportarten für Erwachsene über 20 Jahre sind in den kommenden drei Wochen tabu, auch für Schwimmbäder und Bibliotheken werden Beschränkungen eingeführt. An weiterführenden Schulen und Arbeitsplätzen sowie für die siebten bis neunten Schulklassen wird ein Mund-Nasen-Schutz empfohlen.
Akzeptanz und Disziplin
Warum Finnland ohne Lockdown durch den Herbst zu kommen scheint, zeigen die Zahlen: Auf der EU-CoV-Ampel präsentiert sich Finnland deutlich besser, als die meisten Staaten. Weite Teile Finnlands gehören zu jenen Regionen der Europäischen Union, die von der ECDC nicht mit der höchsten Warnstufe bewertet werden. Das ergibt einen gelben Farbkleks auf rotem Hintergrund. Die Gründe dafür scheinen trivial und klingen militärisch: Akzeptanz und Disziplin. „Das Anwenden von Mund-Nasen-Schutzmaske wird empfohlen.“ Was für uns wie ein Schuldfreipass klingt, wird in Finnland ernst genommen. Die Empfehlungen der finnischen Regierung werden vom Großteil der Bevölkerung freiwillig umgesetzt und befolgt, 23 Prozent sehen laut einer Umfrage des EU-Parlaments die Auswirkungen der Maßnahmen gar als positiv für ihr Leben an.Nach einem zweimonatigen Lockdown im März und ein Reiseverbot in und aus der Hauptstadt Helsinki ist das öffentliche Leben heute weitgehend uneingeschränkt. Möglich macht das auch eine klare Strategie der Regierung: Konsequentes Testen und Contact-Tracing werden fokussiert. Das finnische Äquivalent zur Stopp-Corona-App in Österreich wurde bereits 2,5 Millionen Mal heruntergeladen. Fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung hat demnach die CoV-App der Regierung am Smartphone installiert.
Noch mehr sind es gewohnt, von zu Hause zu arbeiten: „Die Wirtschaft ist so strukturiert, dass ein Großteil der finnischen Arbeitskräfte nicht notwendigerweise am Arbeitsplatz sein muss“, so Nelli Hankonen, Psychologieprofessorin an der Universität Helsinki, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Was das Testen anbelangt ist man durchaus kreativ, am Flughafen Helsinki-Vantaa erschnüffeln seit September sogenannte „Covidogs“ CoV-positive Passagiere. Die Erfolgsrate liege bei über 94 Prozent.Finnland hat hingegen die Einreisebeschränkungen bis zum 13. Dezember verlängert. Begründet wurde dies damit, dass die Unterschiede der Corona-Lage in Finnland und im übrigen Europa groß seien. Die Einreise aus dem gesamten Schengenraum nach Finnland bleibt damit praktisch weiter nicht möglich. Die finnische Ministerpräsidentin, Sanna Marin, wünscht sich in der Angelegenheit EU-weit einheitliche Testanforderungen, eine gegenseitige Anerkennung der Tests und effektive Quarantäneverfahren.Marin spricht sich generell für einen gemeinsamen europäischen Ansatz zur Bekämpfung der Pandemie aus. Die Menschen würden ansonsten die europäischen Regierungen für wirtschaftliche Folgen der Pandemie verantwortlich machen. Das würde zu immer mehr Protesten führen und "Nährboden für populistische Bewegungen in ganz Europa sein", warnt die Ministerpräsidentin.
Eine OECD-Studie zu den Auswirkungen der CoV-Maßnahmen kratzt aber am Image des perfekten Umgangs mit der Coronakrise. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass einer von fünf Menschen in Finnland die psychischen Auswirkungen der Krise spürt - so viel wie in keinem anderen EU-Land. Finnland hatte seit Ausbruch der Pandemie 20.747 CoV-Fälle, 374 Personen sind im Zusammenhang mit dem Virus verstorben.
Simon Rothschedl