Die Corona-Pandemie hat die italienische Wirtschaft in den Abgrund gestürzt, viele Firmen werden die Krise nicht überleben. Das organisierte Verbrechen reibt sich die Hände. "Das Geld der Mafia ist längst zum Sauerstoff der legalen Wirtschaft geworden", warnte Nicola Gratteri, Staatsanwalt in Kalabrien, der Heimat der mächtigen Mafiaorganisation "Ndrangheta", im Interview mit der Tageszeitung "La Stampa" (Montagausgabe).
"Es bestehen immer engere Interessensverstrickungen zwischen Mafia, Politik, Unternehmen und Finanz. Oft sind die Grenzen nicht erkennbar", sagte Gratteri, Autor des am Dienstag im Mondadori-Verlag erscheinenden Essays "Ossigeno illegale" (Illegaler Sauerstoff) über die Wege, mit denen die Mafia aus der Coronakrise Profit schlägt. Darin hebt Gratteri die große Anpassungsfähigkeit mafiöser Organisationen hervor.
"Auch in dieser heiklen Phase hat sich die Mafia angepasst und die neue Krise in eine Chance umgewandelt", erklärte der Staatsanwalt. "In Phasen wie dieser feiern die Wucherer. Es ist jetzt einfach, Unternehmen in der Krise zu übernehmen und Geld in den Drogenhandel zu investieren. In heiklen Zeiten wie diesen floriert die Mafia, die Geld zum Investieren hat", warnte der Mafia-Experte.
Die Mafia sei längst nicht mehr nur ein Problem der öffentlichen Ordnung. "Der Mafioso des Jahres 2020 passt sich an, investiert in Gebieten außerhalb seiner Herkunftsregion, wird von skrupellosen Profis und machtstrebenden Politikern aktiv unterstützt", sagte der 62-jährige Ermittler.
Fehlender politischer Wille
Die Mafia investiere heute in innovativen Bereichen, wie erneuerbaren Energien sowie in Kryptowährung. Sie sei stets für neue Situationen offen. "Um die Mafia zu besiegen, wäre ein starker politischer Wille notwendig, der jedoch fehlt. Eine stärkere internationale Zusammenarbeit, die viele fordern, sowie Angriffe auf das mafiöse Kapital wären dringend notwendig", sagte Gratteri.
Der Experte warnte, dass das Problem der Mafia in Europa unterschätzt werde. "In Europa denken viele noch, dass die Mafia exklusiv ein italienisches Problem sei. Damit begeht Europa denselben Fehler wie Italien in den 1960er-Jahren, als man dachte, dass die Mafia lediglich ein Problem Siziliens wäre. Die mafiösen Organisationen nutzen die mangelnde internationale Kooperation im Kampf gegen Mafia und Korruption", sagte Gratteri.