Die Diskussion darüber, ob Schulen geschlossen werden sollen und wie gut das Distance Learning funktioniert, bewegt. Zahlreiche Reaktionen erreichen uns dazu. Hier drei Ausschnitte aus der österreichischen Schul-Wirklichkeit:
Alleinerzieherin Michaela Wambacher:
"Ich bin alleinerziehende Großmutter eines Enkelsohnes und gar nicht bildungsfern, habe einen Hochschulabschluss mit Auszeichnung. Wir sind technisch entsprechend ausgerüstet und ich könnte im Prinzip mein Kind, es geht in eine Ganztagesklasse der 4. Klasse Volksschule, zu Hause unterrichten.
Aber es spießt sich: Mein Enkel verweigert zu Hause das Lernen komplett. Innerhalb weniger Minuten hängt der Haussegen schief, wenn wir uns hinsetzen, um zu lernen. Nach vielen Versuchen, auch mit unterschiedlichen Lern- und Vermittlungsstrategien habe ich es schließlich aufgegeben. Wir hatten schon beim ersten Lockdown damit Probleme.
Mein Enkel braucht wie die meisten Kinder in seinem Alter das soziale Umfeld der Lehrerinnen und MitschülerInnen. Eine erneute Schulschließung hätte mit Gewissheit weitreichende Folgen für das Fortkommen der Kinder in der Schule, vor allem aber auf die Entwicklung ihrer sozialen Kompetenz und ihre psychische Gesundheit.
Ich empfinde es außerdem als eine Zumutung des Bildungsministers, dass wir als Erziehende unsere Kinder daheim unterrichten sollen, und noch dazu kostenlos. Auch wenn ich es einfach sein lasse, und meinen Enkelsohn im Fall einer Schulschließung aus oben genannten Gründen wieder nicht unterrichten kann, muss ich von der Arbeit zu Hause bleiben, weil ich einen 9-Jährigen nicht allein zu Hause lassen kann, auch gar nicht darf. Das würde für mich Homeoffice bedeuten, was aber nicht geht, außer ich parke meinen Enkel stundenlang vor dem Computer.
Mit meinen Problemen bin ich nicht allein! Daher fordere ich den Bildungsminister dazu auf, die Pflichtschulen im Sinne des Wohles unserer Kinder geöffnet zu lassen, auch vor dem Hintergrund, dass Kinder unter 10 Jahren sich kaum mit SarsCov2 anstecken und die Erkrankung deshalb auch nicht weitertragen können. Schutz der Risikogruppen ja, aber nicht auf Kosten der psychischen Gesundheit unserer Kinder. Hier ist verhältnismäßiges Handeln erforderlich!"
Schulschließungen der Pflichtschulen seien laut Experten deswegen bei der Eindämmung der Coronapademie so effektiv - man lese und staune! - weil Eltern bzw. Erziehende dann auf Homeoffice umstellen müssten, daheim blieben und keine Viren weitergeben könnten. Es geht also gar nicht um den Effekt der Schulschließungen an sich! Ich orte hier wieder einen groben Missbrauch unsere Kinder, die Gefährdung ihrer psychischen Gesundheit und damit des Kindeswohls! Meine Meinung: Das darf nicht sein!
Lehrer Martin E.
Ihre Ausführungen suggerieren, dass die Lehrer schuld daran seien, falls die Fernlehre nicht gut funktioniert. In keinem Medium, keiner Zeitung wird darauf hingewiesen, dass Lehrer nicht nur in ihrer Ausbildung nicht darauf vorbereitet wurden, sondern und vor allem auch heute noch alles, was über Kreide und Tafel hinausgeht, privat finanzieren müssen. Das ist etwas so, als ob Sie an Ihrem Arbeitsplatz nur einen Block und einen Stift bekommen und sich Ihren PC und Bildschirm / Laptop selbst finanzieren dürfen, wenn sie Ihre Artikel lieber tippen wollen. Und für die Kommunikation mit dem Dienstgeber verwenden Sie natürlich auch Ihr Privathandy.
Und dann kommt von einem Tag auf den anderen der Lockdown mit Distance Learning, und es wird von Ihnen erwartet, dass Sie das ohne Weiteres so nebenher schupfen. Und wenn Sie dann vielleicht etwas älter sind und nicht mit modernen Lernplattformen vertraut, weil sie keine natürliche Affinität zum Digitalen haben und sich mit E-Mail-Arbeitsaufträgen (natürlich von Ihrem privaten PC und Handy aus) notbehelfen, dann dürfen Sie sich angesprochen fühlen, wenn in der Zeitung steht, Sie seien quasi schuld daran, wenn jetzt Schüler auf der Strecke bleiben, da Lehrer wie Sie halt nicht fit seien für ihren Job.
Agenda Austria
Im Frühjahr wurde das österreichische Bildungssystem kalt vom Lockdown erwischt. Die mangelnde Vorbereitung und die fehlende Erfahrung im Umgang mit der Distanzlehre und den digitalen Hilfsmitteln führten zu erheblichen Problemen für Schüler, Eltern und Lehrer. Die Befürchtung war schon damals, dass der Lernfortschritt der Schulschließung und dem nachfolgenden Schichtbetrieb zum Opfer fallen könnte.
So bestätigen erste Zahlen aus den Niederlanden – im Vergleich zu Österreich ein Musterschüler beim digitalen Bildungssystem – enorme Lernverluste bei Schülern. Im Durchschnitt büßten die Schüler während einer achtwöchigen Schulschließung rund 20 Prozent des erwarteten Bildungsfortschrittes eines Jahres ein.
„Österreich gehört, anders als die Niederlande, nicht zu den Spitzenreitern der Digitalisierung“, sagt Agenda Austria-Ökonom Hanno Lorenz. Es muss also davon ausgegangen werden, dass der Bildungsverlust hierzulande noch größer ist. Laut Lorenz „ist die Bedeutung des Lehrers auch bei der digitalen Bildung enorm“. Es sei wichtig, dass sich Schüler und Lehrer austauschen könnten. Dafür müsste es geeignete Plattformen geben, ganz abgesehen von einer adäquaten Infrastruktur.
Das sei vor allem für Schüler wichtig, die zu Hause wenig Unterstützung bekommen. „Auch müsste man die kommenden Lehrpläne dahingehend adaptieren, um den Leistungsunterschied, der sich in der Distanzlehre aufgetan hat, auszugleichen.“ Es ist zu begrüßen, dass die Schulen – soweit es medizinisch vertretbar ist – geöffnet bleiben. Dennoch gilt nach wie vor derselbe Befund der Agenda Austria vom vergangenen Sommer: „Es ist (...) auch die Aufgabe der Regierung, für ein negatives Szenario gewappnet zu sein.
Der Sommer hätte intensiv genutzt werden müssen, um zumindest einen Notfallbetrieb zu garantieren, damit nicht wieder Schüler und Eltern die Leidtragenden sind. Die Regierung steht hier in der Pflicht.“ Zumindest jetzt sollten die entsprechenden Nachrüstungen erfolgen, wir werden sie auch brauchen, wenn die Pandemie ihr Ende gefunden haben wird.
Claudia Gigler