Es war das befürchtete Szenario für den Fall erneuter Schließungen in Italien: Krawalle, Ausschreitungen zwischen Bevölkerung und Polizei. Am Wochenende war es in Neapel und Rom zu üblen Szenen gekommen. Den Anfang machte Neapel am Freitag. Da hatte der Gouverneur von Kampanien Vincenzo De Luca pauschal und voreilig "die Sperre von allem" per Videobotschaft angekündigt. Am Abend zogen zwei Demonstrationszüge, auf denen gegen vorzeitige Schließung von Bars und Restaurants protestiert wurde, mit etwa 1200 Personen zum Sitz der Regionalregierung. Ihr Ansinnen war den Behörden zufolge weitgehend friedlich.

Was danach passierte, beschäftigt nun die Staatsanwaltschaft. Bis zu 300 vor allem jüngere Männer fuhren mit Motorrollern gezielt in Richtung Innenstadt und mischten sich unter die Demonstranten. Es dauerte nicht lange, bis sie Steine, Flaschen, Stöcke und Feuerwerkskörper in Richtung der Polizisten warfen und Mülltonnen in Brand setzten. Die Krawallmacher skandierten "Libertà!" (Freiheit). Zwei wegen Drogendelikten Vorbestrafte wurden festgenommen. Etwa 20 Polizisten trugen Verletzungen davon. Wie italienische Medien berichten, setzten sich die herbeigeeilten Randalierer aus Fußball-Ultras, Linksextremisten, Rechtsextremisten sowie der Camorra zusammen.

Die Mafia mischt mit

Der Vorsitzende der Antimafiakommission im Parlament, Nicola Morra, sprach von einer „Regie“ im Hintergrund. Unter den Randalierern seien die Mitglieder mehrerer Mafia-Clans aus Neapel gewesen. Innenministerin Luciana Lamorgese verurteilte die „inakzeptable und vorherbestimmte Gewalt“.

Die zweite Welle der Seuche ist angerollt, nervliche und soziale Anspannung der Bevölkerung spitzen sich zu, viele Familien sind in ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Extremisten und Kriminalität versuchen, das auszunutzen. „Es wird wieder passieren“, sagte Vizeinnenminister Matteo Mauri dem Corriere della Sera. „Und nicht nur in Neapel. Wir sind in einer komplizierten Phase.“

Am Samstagabend hatten sich auch in Rom auf der Piazza del Popolo Demonstranten versammelt. Die neofaschistische Partei Forza Nuova hatte dort zum nicht genehmigten Protest gegen die „Gesundheitsdiktatur“ aufgerufen, 200 rechtsradikale Randalierer lieferten sich Schlägereien mit der Polizei, steckten Mülltonnen in Brand und beschädigten Autos. Zehn Personen wurden festgenommen.

Angesichts der Verschärfung der epidemiologischen und der sozialen Lage befürchtet das Innenministerium eine Verschlimmerung der Lage in den kommenden Wochen. Am Samstag war die Rekordzahl von 19.644 Covid-Ansteckungen registriert worden. Am Sonntag verfügte die Regierung von Giuseppe Conte die Schließung von Restaurants und Bars ab 18 Uhr. Für die Oberschulen soll der Unterricht zu 75 Prozent online stattfinden.

In den Fokus gerät in Italien zunehmend die Art der oft drastischen Kommunikation von Politik, Behörden und Medien. Kampaniens Gouverneur De Luca, der wegen seiner martialischen Art „Sheriff“ genannt wird, hatte am Freitag einen kompletten „Lockdown für ganz Italien“ gefordert und auf einer Pressekonferenz das Szenario von Leichentransporten in Militärfahrzeugen wie im März in Bergamo heraufbeschworen. Zudem zeigte er die Röntgen-Aufnahmen eines 37-Jährigen, der wegen Covid-19 auf der Intensivstation liegt. Seine Ankündigung, in Kampanien „alles zu schließen“, trug den sozialen und wirtschaftlichen Folgen keine Rechnung.

Der Chef des nationalen Gesundheitsrates, Franco Locatelli, sagte: „Wir dürfen nicht in Panik verfallen.“ Die Zahlen der Patienten auf den Intensivstationen und der Todesopfer sei nicht mit jenen im März und April zu vergleichen. „Es gibt sehr viel Alarmismus“, sagte der Virologe Giorgio Palù, emeritierter Professor der Universität Padua. „Dieses Virus hat eine relativ geringe Letalität, es kann töten, ist aber nicht die Pest.“