Angesichts von rund 180 Impfstoffkandidaten gegen das SARS-CoV-2-Virus und mehreren davon im letzten Stadium der klinischen Prüfung könne man davon ausgehen, dass "effektive und sichere Impfstoffe eher bereits in Monaten" verfügbar werden. Zu diesem Schluss kommt der österreichische Virologe Florian Krammer von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York (USA) in einem Überblicksartikel im Fachmagazin "Nature". Trotzdem gebe es noch viele Fragezeichen.
Obwohl es noch keinen zugelassenen Impfstoff gegen einen Erreger aus der Gruppe der Coronaviren bei Menschen gibt und die Vakzin-Entwicklung unter normalen Umständen um die 15 Jahre dauert, stand die Aussicht auf einen rasch verfügbaren, marktreifen Wirkstoff innerhalb eines bzw. von eineinhalb Jahren relativ bald nach Beginn der Corona-Pandemie im Raum. Angesichts der Entwicklung in "Rekordgeschwindigkeit" hält es der Wissenschafter, der bereits im März einen Antikörpertest auf das neue Coronavirus vorgestellt hat, sogar für möglich, dass Impfstoffe noch heuer auf den Markt gelangen.
Weniger Nebenwirkungen
Als sehr wahrscheinlich bezeichnet Krammer, dass Kandidaten der Firmen Moderna, Pfizer und AstraZeneca die notwendige Schutzwirkung gegen den Erreger aufweisen und in den USA und Europa auch lizensiert werden, wenn sie sich als sicher genug erweisen. Gerade in diesem Zusammenhang hatte der Pharmakonzern AstraZeneca seine Studien mit einem Impfstoff wegen einer ungeklärten Erkrankung bei einem Probanden allerdings erst kürzlich unterbrechen müssen. Es könne jedenfalls sein, dass diese ersten Vakzine in der Folge durch andere Wirkstoffe ersetzt werden, die ähnliche Wirkung zeigen, jedoch mit weniger Nebenwirkungen behaftet sind, räumt auch Krammer ein, der in dem bisher beispiellosen Entwicklungsprozess noch einige Unsicherheitsfaktoren ortet.
So gebe es noch Fragen zur Rolle Verabreichung der mit vielen verschiedenen Herangehensweisen arbeitenden Impfstoffe. Alle fortgeschrittenen Kandidaten werden intramuskulär verabreicht. Dies führe zur starken Produktion von IgG-Antikörpern, die eigentlich eher spät im Verlauf einer Infektion gebildet werden. Diese Art der Antikörper schützen zwar die Unteren Atemwege, also die Lunge, allerdings bringe diese Art der Verabreichung keinen Effekt auf die Anzahl der im Lauf einer Atemwegsinfektion früher gebildeten IgA-Antikörper. Die finden sich vor allem in den Schleimhäuten in den oberen Atemwegen und hemmen dort den Erreger. So könnte eine Impfung die Unteren Atemwege schützen, die Oberen jedoch nicht.
"Das führt vielleicht zu Vakzinen, die Personen zwar vor einem symptomatischen Verlauf schützen, es aber noch erlauben, dass das Virus weitergegeben wird", auch wenn die Übertragungswahrscheinlichkeit trotzdem reduziert würde, so Krammer. Hätte man noch Wirkstoffe, die über die Nase verabreicht werden können, wären auch die Oberen Atemwege besser geschützt. Derartige Kandidaten gebe es aber wenige.
Bisher sehe es so aus, als ob eine natürlich durchlaufene Covid-19-Infektion zu einer "normalen" Immunantwort führe, bei der die Anzahl an gebildeten Antikörpern gegen den Erreger mit der Zeit etwas, aber nicht dramatisch zurückgehe. Wie lange eine wie immer geartete Impfung effektiv schützt, wisse man nicht, so der Virologe. Es könnte auch sein, dass der Impfschutz gerade bei den stärker gefährdeten älteren Menschen geringer ist. Auf der anderen Seite können viele Kandidaten bisher mitunter relativ starke Nebenwirkungen auslösen, was Fragezeichen zum Einsatz bei Kindern, die hier anfälliger sind, mit sich bringe.
Nicht zuletzt stellen sich auch Fragen dazu, wie die weltweite Versorgung sicher gestellt werden kann. Gut sei, dass in vielen Ländern mit verschiedenen Ansätzen an Impfstoffen gearbeitet wird, weil kein Anbieter alleine eine derart umfangreiche Versorgung sicherstellen können wird, betont Krammer, der u.a. beim Angebot an Spritzen oder Glasbehältern mögliche Flaschenhälse ortet. Auch die bei manchen Entwicklungen notwendige Lagerung in großer Kälte könne in weniger entwickelten Ländern oft nicht gewährleistet werden. Für den Virologen ist daher gut denkbar, dass schlussendlich in vielen Ländern Impfstoffe mit inaktivierten SARS-CoV-2-Erregern eingesetzt werden, die etwa in China, Indien oder anderen Ländern hergestellt werden. Ein Vorteil dieses Ansatzes ist, dass solche Vakzine auch leichter in Nicht-Hightech-Ländern produziert werden könnten.