Kurz nach 12 Uhr Mittag nähert sich das weiß-blaue Motorschiff „Zwölferhorn“ der Anlegestelle St. Wolfgang und spuckt zwei Dutzend Touristen aus. „Setzts euch jetzt alle die Masken auf und tretets mit niemandem in Kontakt“, mahnt der Fremdenführer im knallgelben Leiberl. Die Urlaubergruppe aus Sachsen folgt brav und stapft trotz Postkartenwetter tief vermummt in Richtung „Weisses Rössl“.
Der Kurzaufenthalt im berühmten Ort hat ungewollt etwas von einem Abenteuer bekommen, seit St. Wolfgang als Corona-Hotspot in den Schlagzeilen ist. Die Gefahr, jemanden zu treffen, ist jedoch gering, denn die engen Gässchen mit ihren pittoresken Häuserfronten sind leer gefegt wie Ende November. „Die Leute haben Angst. Viele können es sich vom Alter her nicht leisten, sich zu infizieren“, erzählt eine mit Plastik-Gesichtsschild bewehrte Verkäuferin. Auch in den Andenkenläden und Imbissbuden wartet man ungläubig bis verzweifelt auf Kundschaft. Wo sich normalerweise im Hochsommer die Massen wälzen, herrscht unheilvolle Stille wie zu High Noon in einer verlassenen Goldgräberstadt.
Tatsächlich ist ja die touristische Goldader von St. Wolfgang praktisch über Nacht versiegt. Bis Freitagabend sei es noch hoch hergegangen, seither sei gar nichts mehr los, erzählt René, Kellner im Restaurant „Rock ’n’ Roll“. Er steht im leeren Gastraum und faltet ratlos Servietten. „Mir kann es wurscht sein, ich bin angestellt. Aber mein Chef schwitzt.“ Den Umsatzrückgang schätzt René auf „75 Prozent, eher noch mehr“.
Dabei sei es bisher eine rekordverdächtige Saison für St. Wolfgang gewesen. „Jeder hat gestöhnt, jeder war am Limit.“ Im Gegensatz zu früher, wo Gästegruppen aus Fernost im Stundentakt durch den Ort geschleust wurden, seien heuer viel mehr Österreicher unter den Urlaubern. Die würden mehr Umsatz bringen, aber auch mehr Arbeit machen.
Die abendlichen Platzkonzerte, das Orgelkonzert in der Pfarrkirche: alles abgesagt. Nur der Brauchtumsabend „Plattl’t, g’sunga & g’spüt“ soll am Donnerstag stattfinden: „Traditional dance evening with the Trachtenverein ,D’Wolfganger‘“ steht auf dem Plakat.
Vor dem weiß gestrichenen Rathaus, einen Steinwurf vom „Weissen Rössl“ entfernt, schwitzt Bürgermeister Franz Eisl in voller Trachtenmontur in der Mittagshitze und gibt Interviews. Nein, mit Ischgl könne man die Lage nicht vergleichen: „Wir haben alles getan, um sofort zu testen und die Infektionsketten zu durchbrechen.“ Die Stimmung im Ort sei „herausfordernd“, jene in der Hotellerie sogar „angespannt“, ringt der Ortschef um beschönigende Vokabel.
Deutlicher spricht da schon Dominik Erbele, der Betreiber des „Hotels Peter“, in dem der erste Coronafall bekannt geworden ist. Man sei in einer „Schocksituation“. Es gebe auch vermehrt Stornierungen. „Für uns ist es jetzt wichtig, von Tag zu Tag weiterzuschauen. Wir wollen wieder Zuversicht verbreiten.“
Die spärlichen Gäste genießen indes den Lohn der Angst: Am See bekommen sie jetzt Nachsaison-Frieden und Hochsommerwetter im nie gekannten Kombipack. So etwa das Ehepaar Gudrun und Rudolf Busch aus Altenburg in Thüringen, die sich in einer Pension am Ortsrand eingemietet haben. Sie sitzen gemütlich auf einer Uferbank im Schatten. „Wir sind Risikoklasse eins!“, sagt Herr Busch mit stolzem Unterton. Der Urlaub sei „hervorragend“, für einen Abbruch gebe es keinen Grund, im Gegenteil. Denn, so seine Frau Gudrun: „Wir sind 62 Jahre verheiratet und brauchen unsere Ruhe.“
Vorteile sehen auch Deborah und Nick, ein junges Urlauberpaar aus Dresden, das im öffentlichen Strandbad die Sonne genießt. „Auf der Liegewiese ist jetzt mehr Platz als früher“, sagt Nick. Das Urlaubsgefühl sei zwar etwas beeinträchtigt, „aber schön ist es hier ja“. Täglich beobachte man die Lage: „Wenn es schlimmer wird, reisen wir ab.“
Das zu verhindern, ist Aufgabe von Tourismuschef Hans Wieser. Im Tourismusbüro haben sie ein Krisenzentrum eingerichtet. Dass die Saison noch nicht vorbei sei, dass man weitere Stornos vermeiden könne – das ist die Hoffnung aller. Nicht nur hier am See, sondern etwa auch im nahen Salzburg, wo die Corona-Angst schon an die Schwelle des Festspielhauses brandet.
Das Virus mache ja nicht an den Ortsgrenzen von St. Wolfgang halt, gibt Hotelier Erbele zu bedenken: „Uns hat es jetzt halt als Erste mitten im Hochsommer erwischt. Aber wir werden lernen müssen, damit umzugehen.“