Haben Sie schon einmal von „Telegonie“ gehört? Nein, das ist keine Fernsehermarke und auch nicht das krankhafte Einschlafen bei der Erwähnung irgendwelcher ORF-Programme. Ich meine auch nicht die Fortschreibung der Odyssee, sondern die Fernzeugung – die Annahme, dass der bloße Gedanke an jemand dritten Einfluss auf eine Empfängnis hat. So ähnlich ist es mit dem Post-Lockdown. Alle treiben es wieder quietschvergnügt, aber der schlichte Gedanke an Corona reicht zur Verwirrung jeder Konzeption.
Die hellsten Kerzen auf der Torte haben sich Mitte Juni in Belgrad getroffen, um unter dem Vorwand eines Tennisturniers übereinander herzufallen. Novak Djokovic, die Nummer eins der eingefrorenen Weltrangliste, erklärter Impfgegner und auch sonst meinungsauffällig, hat gerufen, und die halbe Weltspitze einschließlich Thiem ist gekommen. Naturgemäß haben sich mehrere Spieler und Trainer mit Corona angesteckt – auch der Djoker und sein Trainer Goran Ivanisevic. Von den fünftausend Zusehern, Balljungen und anderen Beteiligten weiß man noch wenig, kann aber vermuten, dass auch hier viele betroffen sind. Zwei Wochen später tut es allen leid und entschuldigt man sich reihum für die unbedachte Paarung aus Übermut und Dummheit.
Was da im Tennis passiert ist, wird sich wiederholen. Niemand will mehr seine Täger, die Möglichkeitsform von Tage, in Quarantäne verbringen und kontaktlos leben. Also tun alle so, als hätte es Corona nie gegeben, wäre die Pandemie nichts weiter als ein harmloser Sekundenschlaf gewesen. Überall tobt das Leben. Menschen sitzen in Lokalen, busseln sich ab, herzen und küssen sich. Kinder fahren wieder auf Fruchtbesuch zu ihren Eltern, Schüler toben Richtung Ferien, Gastgärten und Kinos locken Leute an. Maskenpflicht? Abstandsregel? Händewaschen? Damit nimmt man es nicht mehr sehr genau. Selbst Veranstalter von Megaevents wollen zurück in den Normalbetrieb. Sogar die Prostitution ist wieder erlaubt.
Von wegen Fernzeugung! Die im Volksglauben immer noch verwurzelte Telegonie hat sich als Unfug herausgestellt, aber Corona verbreitet sich nicht durch Gedanken oder Blicke. Stellen Sie sich vor, es ist Aids und niemand nimmt Kondome. Nur weil wir nicht mehr daran denken, ist die Pandemie längst noch nicht besiegt. Und wenn sich niemand mehr an Regeln hält, kommt schon bald die zweite Welle.
Klar kann sich nicht jeder mit meinem Corona-Triathlon – Lesen, Essen, Schlafen – anfreunden, und man darf nicht vor Angst erstarren, aber ganz auf die Gefahr zu vergessen, ist wie spazieren gehen auf der Autobahn, Tennis spielen in Serbien oder zu glauben, dass einen das Virus nicht findet, weil man es selbst ja auch nicht sieht.