Seit Wochen gehen die Wogen rund um das mögliche Corona-Medikament Hydroxychloroquin hoch, nun gibt es einen Knalleffekt: Jene Studie, die zum Schluss kam, dass der Wirkstoff bei Covid-19-Patienten zu erhöhten Todesraten führen könnte, wurde nun zurückgezogen. Brisant ist das vor allem deshalb, da aufgrund dieser Studie mehrere Länder den Einsatz des Wirkstoffs bei Covid-19 verboten hatten und auch die Weltgesundheitsorganisation WHO klinische Tests aussetzte.
Das Fachmagazin "The Lancet" und drei der vier Autoren zogen die Studie nun zurück, da sich scharfe Kritik am Datenmaterial formiert hatte, das zur Grundlage der Beobachtungen verwendet wurde.
Was war passiert?
Hydroxychloroquin, ein alter Wirkstoff gegen Malaria, galt als einer der Hoffnungsträger in der Therapie von Covid-19: Der Rummel, der um dieses Medikament entstanden war, ist vor allem einem zuzuschreiben: US-Präsident Donald Trump, der das Malariamittel schon früh als „Wundermittel“ anpries und auch regelmäßig als Coronaprophylaxe einnahm. Doch gleichzeitig mehrten sich warnende Stimmen: Es wurden schwere Nebenwirkungen beobachtet, Patienten entwickelten Herzrhythmusstörungen.
In der Folge warnten amerikanische Gesundheitsbehörden sowie die europäische Arzneimittelbehörde vor Risiken bei der Anwendung von Hydroxychloroquin gegen Covid-19. Der vermeintliche Todesstoß kam Ende Mai: Am 22. Mai wurde in der renommierten Fachzeitschrift "The Lancet" eine Untersuchung veröffentlicht, die weitreichende Folgen hatte.
Sie kam nämlich zu dem Ergebnis, dass Hydroxychloroquin sowie der verwandte Wirkstoff Chloroquin nicht nur keinen Nutzen bei Covid-19-Patienten hätten, sondern möglicherweise wegen schwerer Nebenwirkungen sogar das Sterberisiko erhöhten. Diese schweren und kaum vorhersehbaren Nebenwirkungen können lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen sein.
In der Folge hatten mehrere Länder die Behandlung von Covid-19-Erkrankten mit dem Malariamittel untersagt, die Weltgesundheitsorganisation WHO setzte klinische Tests mit dem Mittel unter Verweis auf die Studie aus.
Magazin distanziert sich von Studie
Eine Woche nach Erscheinen der Studie äußerten sich Dutzende Forscher aus aller Welt in einem offenen Brief skeptisch: Ihre eingehenden Prüfungen hätten "sowohl Besorgnis angesichts der Methodik als auch der Erhebung der Daten ausgelöst", erklärten sie. In dem offenen Brief wird eine lange Liste von aus Sicht der Unterzeichner problematischen Punkten angeführt.
Für die Studie hatten Wissenschafter der Harvard Medical School in Boston (USA) und des Universitätsspitals Zürich - beides höchst renommierte MedUnis bzw. Kliniken - die Daten von 96.000 Patienten in hunderten Krankenhäusern weltweit ausgewertet. Die Daten stammten von dem US-Unternehmen Surgisphere, das nach eigenen Angaben auf die Analyse von Gesundheitsdaten spezialisiert ist.
Die britische Zeitung "Guardian" deckte jedoch einige Ungereimtheiten rund um diese Firma auf, die bis dato kaum bekannt war: So listet sie unter ihren wenigen Angestellten einen Science-Fiction-Autor und ein männliches Model - wissenschaftliche Expertise schien zu fehlen. Auch legte die Firma bis dato keine Einblicke dazu vor, wie die Daten, die sie zur Verfügung stellte, gewonnen wurden.
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In ihrem offenen Brief kritisieren die Forscher unter anderem, dass andere Wissenschafter keinen Zugang zu den Rohdaten erhielten. Auch werde nichts über die Länder und die Krankenhäuser gesagt, aus denen die Daten kommen.
Nach der massiven Kritik hat die Fachzeitschrift "The Lancet" Bedenken zu der Untersuchung geäußert. In einer Stellungnahme wies die renommierte Medizinfachzeitschrift ihre Leser darauf hin, dass "schwerwiegende wissenschaftliche Fragen" an der Studie an sie herangetragen worden seien. Gestern Nacht folgte schließlich die Meldung, dass sich drei der vier Autoren und "The Lancet" die einflussreiche Studie zurückzogen:
Studienleiter Mandeep Mehra von der renommierten Universität Harvard sowie die Co-Autoren Frank Ruschitzka vom Universitätsklinikum Zürich und Amit Patel von der University of Utah teilten mit, sie hätten sich für eine unabhängige Überprüfung der Daten eingesetzt - dies sei jedoch von der Firma Surgisphere, die die Daten geliefert hatte, abgelehnt worden. "Auf Grundlage dieser Entwicklung könnten wir nicht länger für die Richtigkeit der Primärdaten bürgen", sagten sie. Bei den Redakteuren von "Lancet" und den Lesern entschuldigten sich die Wissenschaftler.
DieWHO hat dieklinischen Studien zur Wirksamkeit des Medikaments Hydroxychloroquin im Kampf gegen das neuartige Coronavirus wieder aufgenommen. "Auf Basis der vorhandenen Daten zur Sterblichkeit" könnten die Studien fortgesetzt werden, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Damit ist weiterhin unklar, ob Hydroxychloroquin für Covid-19-Patienten einen Nutzen bringt. In Österreich wurde das Malariamittel bis zum WHO-Stopp nur im Rahmen von Studien und unter strenger Überwachung möglicher Nebenwirkungen eingesetzt. „Hoffentlich zeigen uns nun bald valide Studien, ob das Mittel für Patienten einen Nutzen hat oder nicht“, kommentiert Infektionsspezialist Robert Krause (Med Uni Graz) – denn das sei die zentrale Frage. Auch Infektionsspezialist Bernhard Haas (Kages) sagt: "Bei unklarer bzw. widersprüchlicher Datenlage, wie sie derzeit für Hydroxychloroquin vorliegt, können nur prospektive, sorgfältige entworfene Studien Klarheit schaffen."
Keine Wirkung als Vorsorge
Nun wurde im "The New England Journal of Medicine" eine neue Studie veröffentlicht, die zu dem Schluss kommt, dass das Mittel Kontaktpersonen von SARS-CoV-2-Inifizierten nicht vor einer Ansteckung schützt. Die Forscher der University of Minnesota kamen somit auch zu dem Schluss, dass sich das Mittel nicht zur Vermeidung einer Erkrankung eigne, schränkten aber ein, dass das Mittel in der Studie vornehmlich von jungen Menschen eingenommen wurde, die nicht zur Risikogruppe zählen. Deswegen könne hier keine Aussage über die Wirksamkeit bei Hochrisikopatienten getroffen werden.
Für Aufsehen sorgte die Aussage von US-Präsident Donald Trump, dass er das Malaria-Medikament vorsorglich gegen eine Ansteckung mit Covid-19 einnehme - die aktuelle Studie zeigt nun, dass das wohl wirkungslos war.