Ein wirksamer und sicherer Impfstoff gegen Covid-19 gilt als die entscheidende Waffe im Kampf gegen die Pandemie. Weltweit forschen zahlreiche Pharmaunternehmen und Institutionen mit Hochdruck an einer Vakzine gegen das neuartige Coronavirus. Gleichzeitig wird der Wettstreit um die Kontrolle über das geeignetste Mittel immer aggressiver.
Die London School of Hygiene & Tropical Medicine (LSHTM) listet weltweit fast 160 Projekte auf, die an einem Impfstoff forschen. Elf der möglichen Impfstoffe werden bereits in klinischen Studien am Menschen getestet, die meisten davon befinden sich in der Phase I: Das bedeutet, dass eine kleine Anzahl gesunder Freiwilliger geimpft wird, um in erster Linie die Sicherheit und Verträglichkeit und nur in geringerem Ausmaß die Wirksamkeit zu prüfen.
Am weitesten fortgeschritten ist die Forschung beim in Hongkong börsennotierten Unternehmen CanSino, dessen Impfstoff bereits in der klinischen Studienphase II erprobt wird. Das heißt, es wird erstmals an einer größeren Versuchsgruppe ausprobiert, ob die Impfung wirkt. Vor einer eventuellen Marktzulassung müssen noch groß angelegte Studien der Phase III erfolgreich sein.
In Deutschland hat vor kurzem die erste Testphase mit dem Impfstoffkandidaten des Mainzer Biotechnologieunternehmens BioNTech an 200 Probanden begonnen. Bis spätestens Anfang Juli werden erste Erkenntnisse zur Verträglichkeit erwartet. BioNTech arbeitet mit dem US-Pharmakonzern Pfizer zusammen und hofft, seinen Corona-Impfstoff auch in den USA testen zu können. Das Paul-Ehrlich-Institut, das bundeseigene Institut für Impfstoffe, hat die Prüfung des Impfstoffs genehmigt. Sein Präsident Klaus Cichutek rechnet zudem mit drei weiteren klinischen Tests von Impfstoffkandidaten.
Cichutek hält konkretere Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung gegen das neue Coronavirus bis zum Jahreswechsel für möglich. Falls klinische Prüfungen positiv ausfielen, "unterhalten wir uns gegen Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres darüber, wie man in Richtung einer Zulassung kommt", sagte er dem "Mannheimer Morgen".
Auch drei chinesische Projekte befinden sich laut LSHTM in Phase I der klinischen Tests: das des Pharmariesens Sinovac sowie zwei des medizinischen Instituts in Shenzhen. Nach Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden auch der Impfstoff vom Institut für biologische Produkte in Peking und der des Virologischen Instituts in Wuhan bereits erprobt.
In Großbritannien hat das Impfstoffprojekt der Universität Oxford die erste Testphase erreicht. Im gleichen Stadium befinden sich zwei Entwicklungen aus den USA: Der Impfstoffkandidat des Biotechnologieunternehmens Inovio Pharmaceuticals sowie jener, den das Unternehmen Moderna zusammen mit der Gesundheitsbehörde NIH entwickelt hat. In Frankreich will das Institut Pasteur im Juli mit klinischen Tests bei seinem erfolgversprechendsten Projekt beginnen.
Um mit Impfungen die Pandemie zum Stillstand zu bringen und damit auch dauerhaft auf Sicherheitsvorkehrungen wie Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen verzichten zu können, muss der Impfstoff in riesigen Mengen produziert und massenhaft verabreicht werden. Sinovac hat bereits angekündigt, im Falle eines Erfolgs 100 Millionen Impfdosen pro Jahr herstellen zu wollen. Der US-Pharmakonzern Pfizer plant nach eigenen Angaben bis zum Jahresende die Herstellung von 10 bis 20 Millionen Dosen eines experimentellen Impfstoffs.
Die WHO und große Pharmalabore gehen davon aus, dass es allein bis zur Marktreife eines Impfstoffs zwölf bis 18 Monate dauern wird. Sollte aber tatsächlich bis Ende des Jahres oder im Laufe des kommenden Jahres ein Impfstoff einsatzbereit und in großen Mengen zur Verfügung stehen, wäre dies bisher einmalig, sagt der Experte Barney S. Graham von der US-Gesundheitsbehörde.
Angesichts des großen medizinischen und wirtschaftlichen Interesses an einem Impfstoff stellt sich zunehmend die Frage nach seinem Einsatz. "Alle befürchten, dass die Länder, die am schnellsten für Produktionskapazitäten gesorgt haben, über seine Verwendung entscheiden", sagte die französische Virologin Marie-Paule Kieny dem Radiosender France Info.
Olivier Thibault/AFP