Die "Neue Zürcher Zeitung" attestiert Bundeskanzler Sebastian Kurz "autoritäre Züge" in seiner Politik zur Bewältigung der Coronakrise. Die Grünen als Koalitionspartner habe der ÖVP-Chef an die Wand gedrückt, schrieb das renommierte Blatt am Sonntag. Unter dem Titel "Schau auf mich" heißt es, Österreich sei "sehr gut durch die erste Phase der Pandemie gekommen".
"Schneller, besser, schlauer als die anderen in Europa" hätten Kurz und die Bundesregierung Österreich durch die Pandemie lotsen wollen. "Doch das Management der Corona-Krise hat auch einige Charakterzüge des 33-jährigen Politikers Kurz offenbart und andere bestätigt. Denn epidemiologische Zahlen sind das eine, politischer Stil und Entscheidungen das andere. Die Österreicher sind von der Lungenkrankheit vorerst weitgehend verschont worden. Aber sie waren auch Statisten einer Inszenierung ihres so gewandten jungen Kanzlers.
Schau auf mich, ich bin hier der Chef
In der Krise hat Sebastian Kurz mehr von seinem Wesen preisgegeben. 'Schau auf dich, schau auf mich' - der Leitspruch der Regierung, um die Bürger zum Abstandhalten und zum Verzicht auf das Aus-dem-Haus-Gehen zu bewegen - schien auch auf den Kanzler gemünzt: Schau auf mich, ich bin hier der Chef."
Kurz, "der Autoritäre", habe im Eiltempo Sammelgesetze zum Lockdown durch das Parlament "gepaukt"; Staatsrechtler hätten "sowohl den weitgehenden Eingriff in die Grundrechte als auch die verworrenen Bestimmungen" kritisiert. "Der Kanzler bügelte alle diese Einwände ab."
Die Krise verschaffte Kurz mehr Spielraum
Einen mitunter lockeren Umgang mit dem Recht habe Kurz schon während seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2019 gezeigt, befindet die "NZZ": "Das Höchstgericht kassierte später Gesetze zur inneren Sicherheit und zur Sozialhilfe, die Kurz gemeinsam mit seinem rechtsgerichteten Koalitionspartner FPÖ auf den Weg gebracht hatte. Verglichen mit der innenpolitisch stark polarisierenden früheren Regierungszeit hat die Corona-Krise dem Kanzler nun sehr viel größeren Spielraum verschafft. Die Opposition meldete sich wenig und hielt naturgemäss den nationalen Schulterschluss ein. Die für ihn wichtigen Medien steckte Kurz in den Sack: Boulevardpresse und Privatsender erhalten den grösseren Anteil einer Sonderhilfe von insgesamt 32 Millionen Euro. Und die Bevölkerung folgte ihrem Kanzler: Die Gesichtsmaske - obligatorisch in Geschäften und im öffentlichen Verkehr, empfohlen im Büro und freiwillig viel getragen auf den Trottoirs zumindest in Wien - ist zum Maulkorb geworden. Man spricht in der Öffentlichkeit sehr viel weniger miteinander, während Kurz führt, freundlich und hart." Der Unterschied von Kurz zur deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die die Pandemie eine "demokratische Zumutung" nannte, sei "augenfällig".
Kurz, "der Krisenverliebte", habe mit täglichen Presseauftritten in der Krise die Register seines medialen Könnens gezogen. "Einen Chef-Virologen, einen nationalen Corona-Doktor an seiner Seite, der den Bürgern erklären würde, wie die Epidemie nun verläuft und wie sie einzudämmen wäre, suchte man vergeblich. Kurz allein ist der Krisenmanager, und die Angst war sein bevorzugtes Disziplinierungsmittel", schreibt die "NZZ" mit Blick auf das öffentlich gewordene Protokoll einer Sitzung von Regierung und Experten vom 12. März, in dem von einem Spiel mit der Angst die Rede war.
Politisch habe sich der strenge Kurs von Kurz jedenfalls ausgezahlt, heißt es weiter in dem Artikel mit Verweis auf gestiegene Umfragewerte für die ÖVP. "Seinen grünen Koalitionspartner drückte Kurz an die Wand (...). Sein Image in Europa als Vertreter einer neuen Politikergeneration der Manager und Kümmerer wird nur stärker."