Die Behauptung gehört zu den Lieblingsargumenten der Gegner restriktiver Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie: Wer wegen einer Infektion stirbt, hätte meist sowieso nicht mehr lange zu leben gehabt, heißt es. Zuletzt hatte der grüne Tübinger Bürgermeister Boris Palmer mit diesem Argument die Debatte angefeuert und seinen Parteiausschluss heraufbeschworen. Er hatte behauptet, man rette durch die allgemeinen Beschränkungen „möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr ohnehin tot wären“.
Eine ethisch fragwürdige Sichtweise, die jetzt durch eine medizinische Studie an der Universität Glasgow falsifiziert wurde – in Kooperation mit der staatlichen Gesundheitsbehörde Schottlands. Sie haben die These überprüft und kommen zu einem anderen Ergebnis: Demnach verlieren männliche Coronavirus-Opfer 13 Jahre Lebenszeit, bei Frauen sind es elf Jahre. Die Zahl nehme zwar mit fortschreitendem Lebensalter und mit der Anzahl der Vorerkrankungen ab, dennoch verliere ein fitter 80-Jähriger noch elf Jahre.
Selbst alte oder vorerkrankte Menschen hätten noch einige Jahre gehabt, wenn sie sich nicht infiziert hätten, heißt es in dem Bericht. Die Forscher hatten sich bei ihren Modellrechnungen auf Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall, Bluthochdruck, Diabetes, Demenz, COPD, Krebs, Leberversagen und Nierenerkrankungen konzentriert. Die Zahlen basieren auf Daten der Weltgesundheitsorganisation zur Lebenserwartung verschiedener Altersgruppen. Diese Daten verglich man mit den Erkenntnissen zu Corona-Todesfällen in Italien. Auch Daten über britische Infizierte flossen ein. Allerdings würden Faktoren wie die Versorgungskapazität die Überlebenschancen beeinflussen, gab die Studie zu bedenken.