Arbeit ist, wenn man in der Früh aufsteht, sich herrichtet und dann für acht Stunden in die Firma verschwindet: Diese Gewissheit hat uns Corona genommen. Die Pandemie hat nicht nur den Arbeitsmarkt devastiert, zehntausende Österreicher arbeitslos gemacht und mehr als eine Million in Kurzarbeit geschickt. Sondern sie hat auch die ohnehin weit fortgeschrittene Entgrenzung zwischen Privat- und Berufsleben auf die Spitze getrieben.
„Homeoffice“ hat Chancen auf das Wort des Jahres. Wer davon betroffen ist, hat noch Glück gehabt. Das relative Glück der Tante Jolesch zwar nur, aber besser Heim- und Kurzarbeit als der Totalverlust des Jobs. Oder das völlige Wegbrechen der Aufträge. Oder, am anderen Ende der Skala, das Übermaß an Arbeit, das in Spitälern und Pflegeheimen plötzlich zu stemmen ist.
Fest steht, dass nichts mehr feststeht. Corona hat unsere Erwerbs- und Sozialstrukturen zerrüttet. Der Wind der Veränderung hat uns entwurzelt und an irgend einer Ecke der Arbeitswelt abgesetzt, aus der heraus wir uns jetzt erstaunt neu sortieren. Deshalb ist heute ein 1. Mai ohne Gleichen. Vielfach wird dazu aufgerufen, ihn als „Tag der Arbeitslosigkeit“ zu begehen – Sarkasmus als Krisen-Artikulation. Und tatsächlich entspricht ja die karge äußere Form der Feierlichkeiten durchaus dem inneren Gehalt: „Virtuell“ sollen die Maiaufmärsche stattfinden, mit im Studio aufgezeichneten Ansprachen und auf Facebook geposteter Beteiligung. Auch die Maibäume wachsen heuer nicht in den Himmel.
Was bleibt von der Arbeitswelt?
Es stellt sich die Frage, was uns überhaupt noch bleibt von der „alten“ Arbeitswelt. Die muss ja schon seit Jahrzehnten Federn lassen – Corona setzt dem Wandel nur die Krone auf. Begonnen hat die Transformation mit den Industrie- und Rohstoffkrisen der 1970er und 1980er Jahre. Fortgesetzt hat sie sich mit der rasanten Globalisierung, der Verzahnung der Wertschöpfungsketten bis in den hintersten Weltwinkel, der rastlosen und störanfälligen Just-in-time-Produktion samt Abschaffung der Lagerhaltung.
Dann kamen Turbokapitalismus, Digitalisierung, Dotcom-Blase. Plötzlich wurden wir gewahr, dass die Kohlenstoffwirtschaft eine Sackgasse ist und die irdischen Ressourcen nicht „Luxus für alle“ gewähren. Der reiche Westen muss also entweder teilen oder herrschen. Die einst große, weite Welt erwies sich unwiderruflich als jener kleine Planet, der schon 1968 aus der Raumkapsel von Apollo 8 so verdammt zerbrechlich gewirkt hatte. Spätestens die Weltwirtschaftskrise 2008 konfrontierte uns mit den Folgen unserer Gier. Und jetzt, als bislang letzter Akt, eben die globale Streubombe Corona.
Das Lied der Arbeit, das Leid der Arbeit
Parallel dazu änderte sich unsere Wertewelt, die Einstellung zu Arbeit, Erwerb, Beschäftigung. Der 1847 geborene Graveur-Geselle Josef Zapf textete vor 150 Jahren das „Lied der Arbeit“. Dort wird die Arbeit noch als „hohe Braut“ verehrt, der wir verdankten, nicht mehr „durch finstre Wälder“ zu kriechen, sondern uns über Ackerbau und Industrie bis in die hehren Gefilde der Bildung weiterentwickelt zu haben.
Heute sind wir im Begriff, uns von dieser hohen Braut scheiden zu lassen. Es kursieren Erwartungen, künftig würden Roboter und Computer die Last tragen und uns via „Grundeinkommen“ ein von Zwängen befreites Dasein ermöglichen. Abgesehen von der Machbarkeit dieser Vision muss man fragen, ob wir das überhaupt wollen sollen. Denn bisher galt ja die Gleichung, dass Arbeit mehr ist als Gelderwerb. Dass sie Sinn stiftet und den Menschen als Teil der Gemeinschaft für sich selbst erlebbar macht. Arbeit also als konstitutiver Teil des gelungenen Lebens: Ist das heute noch so?
Offenbar nicht, oder doch nicht mehr vorbehaltlos. Es haben sich Zweifel eingeschlichen. Junge Menschen verstehen unter Lebensqualität nicht eine gute Stellung, sondern ein Höchstmaß an Selbstverwirklichung – und das meist außerhalb des Erwerbszusammenhangs. Die Selbstvergewisserung passiert im Sport, auf Reisen, im Sabbatical, allenfalls noch bei Yoga-, Tanz- und Malkursen oder beim Probefasten im Kloster. Also so gut wie überall, nur nicht im Büro.
Sobald man aber eine „Work-Life-Balance“ definiert und dabei die Gewichte von „Work“ und „Life“ auf den gegenüberliegenden Seiten des Balkens verteilt, gerät das Eine automatisch zum Hindernis fürs Andere. Arbeit ermöglicht uns dann nicht mehr das gute Leben, sondern sie verhindert es. Daraus folgen Karrieren der Arbeitsvermeidung und das freudlose Warten auf die Frühestpension.
Diese Gefahr speist sich aus vielen Quellen. Zunächst wird Arbeit als Broterwerb umso stärker begründungspflichtig, je mehr Wohlstand man schon hat und je mehr andere Einkunftsquellen verfügbar sind. Im oben erwähnten Lied heißt es über die Arbeit: „Doch ihre Mutter war die Not.“ Aus Not geboren sei also der Antrieb, die Ärmel aufzukrempeln und den Tag mit Tagewerk zu verbringen.
Die Sache mit der Leistung
Wächst man hingegen zwischen Sozialstaat, Rundumversorgung und Erbschaft auf, erschließt sich nicht unmittelbar das Erfordernis, selbst etwas beizutragen. In der Not ist eine Notgemeinschaft rasch formiert, während umgekehrt das Wohlleben den Individualismus begünstigt. Wenn sich der materielle Zufluss verselbstständigt, wird er selbstverständlich. Man meint, mit allerlei Ansprüchen gegen andere ausgestattet zu sein. Dass Gemeinschaft nur von jenen gebildet wird, die sich ihr verpflichtet fühlen, wird verdrängt.
Dabei spielen immer auch Erziehung und Weltbild eine Rolle. Leistung als zentrales Element ist in der Schule nicht mehr unbestritten, sie soll auch nicht mehr benotet werden. Gleichheit ist manchen wichtiger als Exzellenz. Wettbewerb gilt fälschlicherweise als Gegenteil von Zusammenarbeit. Ausgenommen ist nur der Leistungssport (der noch nicht in Gleichheitssport umbenannt wurde). Weil wir aber Orientierung brauchen, gibt es die merkwürdige Gegentendenz, alles mit Rankings, Preisen und Bestenlisten zu überziehen.
Strom aus der Steckdose
Anders als früher brauche ich heute auch keine Arbeitskollegen mehr, um mich als Teil der Gruppe zu erleben. Die Funktion der Arbeit als soziales Integrations- und Bindemittel verblasst. Denn die Echokammern der „sozialen Medien“ bieten Ersatz: Dort kann ich kritisieren, kommentieren, streiten, aber auch trösten, ermutigen und bewundern. Wenn dann noch das Onlineshopping eine Versorgung bis zur Haustür ermöglicht, stellt sich irgendwann die Frage, ob der Strom nicht vielleicht doch aus der Steckdose kommt.
Am schlechten Ruf der Arbeit sind nicht selten auch Fragen von Arbeitsteilung, Hierarchie und Organisation schuld. Zwar wird es immer einen Sektor der freudlosen und unbedankten Handlangerjobs und der körperlich schädigenden Arbeit geben, wo der Ruf nach Sinnerfüllung zynisch klingt. Andererseits wird oft der Fehler begangen, Abläufe ohne jede Not mit den Mitteln von Befehl und Zwang zu steuern. Gerade das Homeoffice ist ja bei Arbeitgebern unbeliebt, weil sofort der Verdacht auftaucht, die Belegschaft könnte sich für gutes Geld ungebührlich abseilen.
Kein Vertrauen, keine Motivation, kein Sinn: Das bleierne Dreieck der unseligen „unselbstständigen“ Erwerbstätigkeit liegt drückend auf der Arbeitsproduktivität. Über allem schwebt die gar nicht provokante Frage: Darf Arbeit Spaß machen? Oder muss sie wehtun, damit es „Arbeit“ ist?
Ganz ohne Zwang wird es freilich nie gehen, denn immer besteht Arbeit aus definierten Pflichten, die man gegenüber Vorgesetzten oder Kunden übernimmt. Aber es lohnt sich, den Mechanismus ins Positive zu wenden: Wenn Menschen selbstverantwortlich arbeiten dürfen und den Erfolg ihres Handelns spüren, sind sie dazu bereit, sich anzustrengen.
Erfüllte Arbeit und erfülltes Leben wären dann wieder deckungsgleich: Es geht darum, das Beste aus dem zu machen, was in jedem von uns steckt. Nur wenn uns das gelingt, können wir die Arbeit als konkurrenzfähiges Modell gegen Milch-und-Honig-Träume verteidigen. Und dadurch verhindern, dass wir ungewollt wieder zurückmüssen ins Paradies.