Bei der Frage, wie man die Beschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus lockern kann, gleicht das Vorgehen der EU-Staaten einem Rennen: Wer legt das erste und beste Konzept vor? Auf EU-Ebene schaffen Österreich und Dänemark bereits Fakten: In der Alpenrepublik dürfen kleine Läden ab dem heutigen Dienstag öffnen, verbunden mit einer Mundschutzpflicht.

In Dänemark nehmen Kindergärten und Schulen bis zur 5. Klasse ab Mittwoch wieder den Betrieb auf. Dagegen verlängert Frankreichdie drastischen Ausgangssperren bis zum 11. Mai. Damit droht bei den Lockerungen der Beschränkungen des öffentlichen Lebens dasselbe europaweite Auseinanderfallen wie bei den Verschärfungen in den vergangenen Wochen, nur in die umgekehrte Richtung - und eine neue Debatte an den EU-Binnengrenzen.

Kriterienset für Exit-Strategie

Genau deshalb arbeitet die EU-Kommission nach Angaben von EU-Diplomaten an einem Kriterienset für eine Exit-Strategie - das sie auf Bitten der am meisten betroffenen Staaten aber erst jetzt nach Ostern vorlegt. Das zeigt das Problem mit der Corona-Pandemie: Die Situation ist in vielen Orten in Europa völlig unterschiedlich. Dänemark will und kann Beschränkungen langsam lockern, weil es wenige Fälle, aber viele Intensivbetten hat. In Osteuropa ist das Virus noch nicht richtig angekommen, aber die Angst ist auch wegen der weniger guten Gesundheitssysteme groß. Länder wie Italien oder Spanien lockern langsam, fürchten aber, dass es nach den dramatischen Wochen und leichter Verbesserung der Infektionszahlen einen Rückfall geben könnte.

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"Flickenteppich" droht

"Das führt naturgemäß zu einem Flickenteppich an Regelungen in der EU", räumt ein EU-Diplomat in Brüssel ein. Auf jeden Fall will die EU-Kommission die schlimmsten Exzesse wie nach den nationalen Alleingängen bei den Verschärfungen vermeiden: Denn nur mühsam und nach Telefonaten der Regierungschefs konnten die Grenzkontrollen durch Polen und Tschechien wieder so abgemildert werden, dass der Verkehr für Waren und Pendler im Schengenraum nicht völlig zusammenbrach.

Die Debatte in Deutschland verläuft nicht anders, weil auch dort Regionen unterschiedlich betroffen sind. "Das Windhundrennen geht nun in die andere Richtung los", sagt der Politologe Gero Neugebauer zu Reuters. Erst hatten sich Ministerpräsidenten laut Umfragen erfolgreich mit Verschärfungen profiliert, nun wollten sie die ersten bei den von Wirtschaft und vielen Bürgern herbeigesehnten Lockerungen sein. Dabei hatten sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsidenten am 16. März darauf geeinigt, Alleingänge bis zum 19. April möglichst zu unterlassen. Aber in den darauffolgenden Tagen amüsierten sich französische TV-Sender, dass in Berlin die Buchhandlungen öffnen dürfen, dafür Picknicks verboten sind, während es in Brandenburg umgekehrt ist.

Lage überall anders

Doch die Lage sei eben überall anders, argumentieren viele Landespolitiker. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat dabei noch ein besonderes Problem: Bayern hat einerseits die höchsten Zahlen an Infizierten und muss Härte demonstrieren, hat aber anderseits Österreich an seiner Grenze. Klaffen die Regelungen auf beiden Seiten der Grenze zu stark auseinander, führt dies wieder zu Verwerfungen etwa durch Grenzgänger. Vor denen warnt auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet: "Wenn wir hier zu einer Öffnung kommen, könnte das eine andere Situation sein, als sie derzeit in Belgien und den Niederlanden ist."

Dazu kommt der wachsende Einfluss der Wirtschaft auf die Debatte. Je mehr Entspannungssignale die Virologen senden, desto stärker dringen Firmen darauf, wieder aktiv werden zu dürfen. Das stößt in der Politik auf offene Ohren, denn vielen schwant dort, dass ein längerer Shutdown die finanziellen Möglichkeiten des Staates übersteigen könnte.

Die EU-Kommission will deshalb einen schrittweisen Weg vorschlagen, der Rücksicht auf unterschiedliche geografische Betroffenheiten durch das Virus Rücksicht nehmen soll. So sollen nach Angaben eines EU-Diplomaten nur schrittweise Öffnungen vorgeschlagen werden, mit jeweils längeren Zeitabständen dazwischen, um die Auswirkungen zu testen. Denn die Angst vor der Entstehung neuer Infektionsherde ist groß.