Meine Oma (84) behauptet, ich habe eine Sauklaue, die man nicht entziffern könne. Deswegen schreibe ich ihr nicht, sondern rufe sie vor Ostern an. Auf ihrem Handy. Dieses Fest ist einer der wenigen Fixpunkte, an denen wir uns normalerweise sehen. Dann kommen ihre drei Kinder, ihre sechs Enkelkinder und die drei Urenkel zu ihr nach Strallegg in die Oststeiermark zur Osterjause – mitsamt Anhang.
Heuer feiern wir alle in der Familie getrennt. Ich bleibe in meiner Wohnung in Wien, die meine Oma nur aus Erzählungen kennt. Sie feiert mit meinem Opa Ostern, getrennt von ihrem Sohn Hannes und ihrer Schwiegertochter Waltraud, die im selben Haus wohnen.
Hallo Oma, wie geht’s dir?
berta STABERHOFER: Schön, dass du anrufst, Julia! Uns geht’s gut. Wir halten uns zurück – bei allem. Wir gehen in den Wald spazieren, allein, werden gut von den Kindern betreut und versorgt, also müssen wir nirgendwo hin.
Ist euch schon langweilig?
Nein, wir finden uns immer etwas anzufangen mit unserer Zeit. Und sonst gehen wir spazieren. Stell dir vor: Im Winter habe ich heuer schon 23 Paar Socken gestrickt.
Ich trage gerade eines – jenes, das du mir zu Weihnachten geschenkt hast.
Ah ja. Sollte mir fad werden, stricke ich weiter.
Bist du jetzt froh, dass du am Land wohnst und gleich im Grünen bist?
Und wie! Ein Stadtmensch wär ich keiner. Wir können die Natur genießen, den Garten, die blühenden Blumen, den rauschenden Bach. Die Vogerl singen auch so schön.
Was vermisst du jetzt, Oma?
Meine Freunde. Wir gehen ja mehrmals die Woche wandern, fahren auf die Alm, kehren zum Mittagessen ein oder gehen zum Buschenschank. Das fehlt mir. Und das Kirchengehen. Und ihr geht mir alle ab – die Enkelkinder.
Ich treffe mich mit meinen Freunden via Videotelefonie am Abend zum Weintrinken und Tratschen, dann sehen wir uns alle am Bildschirm. Das ist ganz lustig.
Echt, das geht?
Tut es dir jetzt leid, dass du kein Internet hast?
Wir vertreiben uns anders die Zeit: Wir schnapsen, schauen Quizsendungen im Fernsehen und der Opa schaut alle alten Folgen von „Kommissar Rex“, die sind ganz schön brutal!
Fällt dir das Distanzhalten eigentlich schwer?
Nein, das fällt mir gar nicht schwer. Ich habe Angst, dass ich ins Krankenhaus muss.
Was ist das für ein Frühling für dich, Oma?
Ich bin schon fast 85 Jahre alt und so eine Karwoche habe ich noch nie erlebt. Ohne Palmweihe, ohne Fleischsegnung, Ostermesse, ohne Familienfest. Das bedeutet mir alles sehr viel. Nur im 45er-Jahr zu Kriegsende waren die Kirchen auch leer. Vielleicht ändert sich das Leben jetzt.
Was meinst du damit?
Wir haben den Höhepunkt erreicht. Jeder hat alles haben können. Wir sind die Stiege ganz langsam hinaufgegangen und jetzt wird es zum Runtersteigen sein. Ich habe das oft nicht verkraften können, wie modern alles geworden ist. Zuletzt war ich bei Christian (Anm., Enkelsohn) zu Besuch und bei dem wischt ein Roboter den Boden. Weißt du, was für mich eine echte Errungenschaft war? Als wir im 66er-Jahr das erste Badezimmer bekommen haben. Davor haben wir im Winter das gefrorene Wasser vom Bach geholt und zerstoßen, weil der Brunnen zugefroren war. Wir sind in Armut aufgewachsen, seitdem ist viel passiert. Ich sage jeden Tag Danke!
Zu Ostern sitzen wir sonst immer alle um die riesige Fleischplatte und behaupten, das schaffen wir nie – um es dann doch zu meistern. Wir sind eine eher laute Familie. Heuer wird es ein stilles Fest.
Ja, das tut weh. Bei uns weiß halt immer jeder was zum Erzählen (lacht). Wir haben alle ein lautes Organ – das haben wir von meinem Vater. Der hat immer gesagt: „Im Krieg ist auch geschrien worden.“
Vielleicht feiern wir Ostern nach. Oder wir haben nächstes Jahr das Glück, es noch einmal erleben zu dürfen.
Eine Kindheitserinnerung: Zu Ostern habt ihr immer für uns Nesterl versteckt. Nicht immer haben wir Enkel deinen Garten gut behandelt. Einmal haben wir das Blumenbeet zum Fußballfeld umfunktioniert. Da hast du keine Freude gehabt.
Das war weniger schön. Aber eure Freude über die Nesterl bleibt mir unvergessen.
Wie war dein Osterfest in der Kindheit?
Das war streng bei uns – die ganze Fastenzeit. Am Karfreitag durfte man nicht einmal etwas trinken. Am Ostertag haben die Leute dann oft so viel gegessen, dass sie krank geworden sind. Wir haben uns immer auf solche Feste gefreut. Da hat das Herz innerlich gelacht, es war alles so feierlich. Wir zwölf Kinder sind davor in einem Schaffel gebadet worden – manche gleichzeitig.
Eine deiner Schwestern ist an Demenz erkrankt und lebt in einem Heim. Es geht ihr nicht gut und niemand darf sie aktuell besuchen. Wie geht’s dir damit?
Ich bin so froh, dass wir sie davor noch besucht haben. Sie hat sich so gefreut und ich bin mir sicher, dass sie uns erkannt hat. Es hilft nichts. Ich denke viel an sie und habe sie tief ins Gebet eingeschlossen.
Ein anderes Familienmitglied, dein viertes Urenkerl, soll bald zur Welt kommen – mitten in die Krise hinein.
Ich darf nicht so viel darüber nachdenken. Ihr geht einer anderen Zeit entgegen. Ich glaube, es ist eine Mahnung, dass wir alle wieder näher zusammenrücken. Aber sag du: Wie geht es dir in Wien?
Sehr gut, ich arbeite von zu Hause aus und verbringe viel Zeit im Innenhof und lerne dauernd neue Nachbarn kennen. Was willst du noch wissen?
Hast du einen Freund?
Oma, das interessiert doch die Leserinnen und Leser nicht!
Aber mich schon.
Diese Geschichten sparen wir uns für echte Treffen auf.
Ruf wieder einmal an, Julia!
Mach ich! Schöne Ostern und ganz liebe Grüße an den Opa.