Jerusalem: Ausgangssperre am Fest der Freiheit

Mit dem Beginn der Pessachwoche sind in Israel die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus noch einmal verschärft worden. Am Mittwochabend war der Sederabend, den Großfamilien traditionell gemeinsam feiern. Man liest das Buch Haggadah, das vom Auszug der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten erzählt. Heuer hat die Geschichte von der Freiheit eine besondere Bedeutung. Es herrscht Ausgangssperre.
Premier Benjamin Netanjahu untersagte jegliche Zusammenkunft, die über die Familie in einem Haushalt hinausgeht. „Alle bleiben zu Hause“, machte er klar.

Dabei hält sich die Seuche im kleinen Nahoststaat relativ in Grenzen. Am Donnerstag waren 9755 Fälle bestätigt. 79 Israelis sind gestorben. Die Armee kümmert sich mit Tausenden von Soldaten um ältere und kranke Bürger, Stadtverwaltungen rufen mit Schildern auf: „Bleiben Sie zu Hause. Wir schaffen es gemeinsam!“



Seit vier Wochen bestimmen drakonische Maßnahmen das Leben. Schulen, Kindergärten, Universitäten sind geschlossen, Straßen wie leer gefegt, die meisten Geschäfte geschlossen. Nur „notwendigen“ Unternehmen ist es erlaubt, ihren Betrieb aufrechtzuerhalten, die Leute dürfen sich maximal 100 Meter von ihrem Haus entfernen, und das nur aus triftigem Grund wie Lebensmittelkauf oder Arztbesuch. Weder Sport noch Spaziergänge sind erlaubt. Und der Großteil der Israelis hält sich strikt daran.

Die Polizei verteilte Tausende von Strafzetteln in Höhe von 120 Euro. Die meisten erhielten Leute, die ohne triftigen Grund draußen waren. Hohe Geldstrafen müssen Geschäftsinhaber zahlen, die ihre Läden trotz Verbots öffnen. Mehrere Synagogen wurden geschlossen, weil sie Gottesdienste im geschlossenen Raum durchführten.
Ein besonderes Problem stellen die ultraorthodoxen Viertel dar. Sie sind extrem dicht besiedelt und gelten damit als besonders gefährliche Ansteckungsherde, die Infektionszahlen sind bis zu viermal so hoch wie in säkularen Gegenden. Die streng religiöse Hochburg Bnei Brak südlich von Tel Aviv ist seit mehr als einer Woche komplett abgeriegelt. Ein Hubschrauber fliegt Runden, um Regelbrecher aufzutun und abzuschrecken.

Die Regierung in Jerusalem hatte zudem die digitale Überwachung von Menschen ermöglicht, die mit dem Virus infiziert sind.Sie wird von den Geheimdiensten durchgeführt. Dabei umging das Kabinett sämtliche parlamentarischen Sicherheitsmaßnahmen. Ein Aufschrei aus der Bevölkerung war kaum zu vernehmen. Bislang wurde auch kein Plan veröffentlicht, wie man nach der Krise zur Normalität gelangt.

So lange darf man nur Personen in die eigenen vier Wände lassen, mit denen man zusammenlebt. Also meist nicht einmal die Eltern oder Großeltern. Auch nicht zu Pessach. Dabei ist Israel bekannt für seine großen Feste, wenn die weißen Tischdecken über Tapeziertische geworfen und Dutzende Klappstühle aufgestellt werden.

Yaffa und Yaakov Arbel aus Ra‘anana haben den Sederabend daher zu zweit verbracht und die Haggadah gelesen, „weil es so großen Symbolwert hat“. Doch als Feiern könne man das nicht bezeichnen, meinte die 78-Jährige.

Stockholm: Schwedens riskanter Tanz auf dem Vulkan geht weiter

Schweden hat nicht weniger Coronakranke als andere Länder, am Donnerstag gab es offiziell 9141 Infizierte und 793 Tote. Dennoch ist in Stockholm noch immer so gut wie alles erlaubt. Die Strategie der Regierung ist es, so schnell wie möglich eine Herdenimmunität zu erreichen, um das Virus dauerhaft zu stoppen. In keiner Stadt Europas ist das Leben daher noch so frei. Cafés, Fitnessstudios, Büros, Bars, mehrere Kinos, Kindergärten und Schulen bis einschließlich der neunten Schulstufe bleiben offen. Obwohl das Stockholmer Südkrankenhaus warnt, dass auch junge Menschen schwer erkrankt seien, geben sich die Jungen sorglos.

In der „Timebar“, mit DJ und Tanzfläche bis 3 Uhr Früh, ist sogar mehr los als in den Vorwochen. Freigiebig werden die in Schweden so teuren Drinks zum Nippen von Person zu Person weitergereicht. Tags darauf im Café „Vurma“ hat sich rasch eine kleine Schlange gebildet, obwohl auf einem Schild steht, dass sich keine Schlange bilden soll.

Die 27-jährige Inneneinrichterin Amanda steht an der offenen Kuchentheke und ordert Kekse zum Kaffee. „Derzeit haben wir Inneneinrichter viel mehr zu tun als sonst, viele arbeiten von zu Hause aus und wollen in der Zeit auch ihre Häuser schöner machen“, sagt Amanda. Selbst einige Kinos haben noch offen. Allerdings gibt es mittlerweile die Einschränkung, dass maximal 50 Menschen zusammenkommen dürfen. Für kleine Kinos ist das perfekt.
Weil indes in jedem dritten Stockholmer Altersheim Coronafälle grassieren, gilt nun ein Besuchsverbot. Aber das war es auch schon mit den Verboten.

Bald sei das alles überstanden, spricht Premier Stefan Löfven seinen Landsleuten Mut zu, auch wirtschaftlich: „Die Finanzministerin hat eine Prognose abgegeben, darin heißt es, das hier wird sich nicht sehr lange hinziehen.“ Prognosen müssten freilich nicht eintreffen, fügt er vorsichtig hinzu.

Die Eindämmung des Coronavirus für die gut zehn Millionen Schweden liegt vor allem in den Händen von Anders Tegnell, Oberarzt und Staatsepidemiologe, und dessen Behördenchef Johan Carlson. Die beiden tragen die Hauptverantwortung für die gut zehn Millionen Schweden. Weder Löfvens rotgrüne Minderheitsregierung noch die bürgerliche Opposition haben deren Autorität bisher angezweifelt. Anders Tegnell hält es für illusorisch, das Coronavirus aufzuhalten.

Ein zu starkes Eindämmen berge das Risiko, dass der Erreger im Herbst wiederkehren werde. Das schwedische Experiment wird somit fortgesetzt. „Wenn die Leute sagen, wir in Schweden machen ein Experiment mit unserem Sonderweg, würde ich antworten, dass es ein äußerst, äußerst kniffliges Experiment ist, die gesamte Bevölkerung eines Landes vier bis fünf Monate einzusperren“, erklärt Behördenchef Carlson.

Für den Fall, dass aber doch noch alles aus dem Ruder laufen sollte, hat Ministerpräsident Löfven am Dienstag bereits ein Notstandsgesetz verabschiedet, das ihm erlaubt, Lokale oder Einkaufszentren ad hoc zu schließen, Medikamente zwischen den eigenständigen Landesregionen umzuverteilen, ohne das Parlament vorher fragen zu müssen. Doch noch sind solche Maßnahmen in Schweden kein Thema.