EU-Parlamentspräsident David Sassoli hat das Pandemie-Notstandsgesetz in Ungarn scharf kritisiert. "Niemand darf diese Pandemie dazu benutzen, unsere Freiheiten zu untergraben", erklärte Sassoli am Dienstag in Brüssel. "Wir wollen mit unseren Demokratien intakt aus dieser Krise hervorgehen", fügte der Italiener hinzu. Alle EU-Staaten hätten die Pflicht, die Grundwerte der EU zu wahren und zu schützen.
"Für uns müssen die Parlamente offenbleiben und die Presse muss frei bleiben", erklärte Sassoli. Das ungarische Parlament hatte am Montag ein Gesetz gebilligt, das es Regierungschef Viktor Orban erlaubt, weitgehend unbegrenzt per Dekret zu regieren: Er kann nun den am 11. März wegen der Pandemie verhängten Notstand ohne die Zustimmung des Parlaments beliebig verlängern. Kritiker sehen darin eine Instrumentalisierung der Corona-Krise, um Orbans Machtstellung auszubauen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte am Dienstag eine direkte Konfrontation mit Budapest vermieden. Ohne explizit Bezug auf Ungarn zu nehmen, mahnte sie Verhältnismäßigkeit bei Notfallmaßnahmen aller EU-Staaten an. Der deutsche Europaabgeordnete Dennis Radtke (CDU) forderte als Konsequenz einen Ausschluss von Orbans Fidesz-Partei aus der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). "In Sachen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie darf es für Parteifreunde keinen Rabatt geben", erklärte Radtke. Orban setze "weiterhin wesentliche Elemente von Rechtsstaat und Demokratie außer Kraft". Die Politik seiner Fidesz-Partei habe "nichts mehr mit Christdemokratie zu tun". Sie müsse daher endgültig aus der EVP ausgeschlossen werden.
Orbans Regierung steht seit Jahren wegen der Einschränkung von Bürgerrechten, der Unabhängigkeit der Justiz sowie der Medien- und Meinungsfreiheit in der Kritik. Von einem Rechtsstaatlichkeitsverfahren der EU und mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs ließ er sich bisher aber kaum beeindrucken. Die EVP hatte im März vergangenen Jahres die Mitgliedschaft der Fidesz-Partei ausgesetzt. Eine endgültige Entscheidung hat sie bisher aber nicht getroffen.