"Testen, testen, testen", lautet die Parole der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Südkorea gilt hier mit seinen vielen Tests als Vorbild. Jeder Verdachtsfall soll getestet, jeder Mensch mit bestätigter Infektion isoliert und jede Kontaktperson unter Quarantäne gestellt werden, so die Strategie in der Theorie. Doch die Praxis sieht vielerorts ganz anders aus.
"Alles hängt vom Entwicklungsstand des Landes ab", sagt der Epidemiologe Antoine Flahault vom Institut für globale Gesundheit an der Universität Genf. Auch das Stadium der Epidemie spiele eine Rolle, schreibt der US-Wissenschaftler Marc Lipsitch in der "Washington Post".
Mit den derzeit eingesetzten PCR-Tests kann bestimmt werden, ob ein Mensch zum Zeitpunkt der Testung infiziert ist. Dazu wird ein Abstrich aus dem Rachen genommen und genetisch analysiert. In Südkorea wurden 300.000 solcher Tests vorgenommen, außerdem alle Infizierten isoliert und die Kontaktpersonen mittels Videoüberwachung, Handy- und Bankdaten ausfindig gemacht und ebenfalls getestet. Auch in Singapur erwies sich dieses Vorgehen bisher als erfolgreich.
"Speziallabore wachsen nicht auf Bäumen"
Auf drastische Einschränkungen des öffentlichen Lebens und Ausgangsbeschränkungen verzichteten beide Länder. "Massenhafte Tests sind in der Theorie fantastisch, aber Speziallabore wachsen nicht auf Bäumen", schreibt der philippinische Infektiologe Edsel Salvana auf Twitter. Die WHO-Maßgabe gehe an der Realität vieler Länder vorbei.
"Ich bewundere, was Südkorea gemacht hat, und würde genauso vorgehen, wenn wir genügend Geld und Ressourcen hätten. Aber das ist nicht der Fall, meine Kollegen tragen Müllsäcke als Schutzkleidung", schreibt der Mediziner weiter.
Die Schwierigkeit, das südkoreanische Modell zu übertragen, betrifft nicht nur arme Länder. Auch in Frankreich oder Spanien wird zum Beispiel viel weniger getestet. "Es gibt eine enorme Nachfrage nach RT-PCR-Tests und Schwierigkeiten bei der Lieferung", sagt Epidemiologe Flahault.
In Südkorea und Singapur gab es diese Engpässe nicht. "Diese Länder haben die SARS- und die MERS-Epidemien erlebt und daraus Lehren gezogen", sagt die französische Virologin Anne Goffard. Dadurch seien sie für die Corona-Epidemie besser vorbereitet und ausgestattet gewesen.
Von Kurz' Vorgabe noch weit entfernt
Auch in Österreich hat die Bundesregierung die Devise ausgegeben "Testen, Testen, Testen". Nach den Plänen von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sollen täglich 15.000 Tests durchgeführt werden. Dabei sollen auch Schnelltests vermehrt zum Einsatz kommen. Von dieser Vorgabe ist man aber noch weit entfernt. Bisher wurden bundesweit insgesamt 40.000 PCR-Tests auf SARS-CoV-2 durchgeführt.
Unter anderem fehlt es laut Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) an den dafür nötigen Reagenzien, die am Weltmarkt "extrem umkämpft" seien. Nachschub sei aber in Sicht, zudem soll zukünftig verstärkt auf innerstaatliche Eigenproduktion gesetzt werden, kündigte Anschober an. Künftig sollen in Österreich neben der bisherigen Strategie zusätzlich Zielgruppen-Testungen durchführen lassen, vor allem bei den Gesundheitsberufe.
Warnungen vor Engpässen in Deutschland
Auch in Deutschland, wo derzeit 160.000 Tests pro Woche durchgeführt werden können, sollen die Testkapazitäten ausgeweitet werden. Der Berufsverband Deutscher Laborärzte warnte aber am Donnerstag, bereits in den kommenden Tagen könnte es zu Engpässen bei den Testungen auf Covid-19 kommen. Damit die "Testen, testen, testen"- Strategie erfolgreich ist, muss sie gleich zu Beginn der Epidemie angewandt werden, bevor zu viele Fälle die Umsetzung komplizierter machen.
Da Frankreich die Bevölkerung am Anfang des Ausbruchs nicht massiv testen konnte, plant es nun groß angelegte Tests am Ende der Ausgangssperre. Neue serologische Tests könnten diesen Ansatz erleichtern. Anders als die PCR-Tests weisen sie Antikörper gegen das neue Coronavirus nach und geben damit Auskunft, ob ein Mensch bereits infiziert war und nun immun ist.
"Wer immunisiert ist, kann wieder arbeiten gehen und die Wirtschaft kann wieder anlaufen", sagt die französische Wissenschafterin Isabelle Imbert. Mehrere Forschungsgruppen in verschiedenen Ländern arbeiten derzeit an den Antikörper-Tests. In den nächsten Wochen sollen sie verfügbar sein.