SARS-CoV-2 hat bereits weite Teile der Welt - auch Österreich - binnen weniger Tage in eine neue Situation gestürzt. Doch nur negativ sollte man die Lage nicht sehen, betonte jetzt in einem Gespräch mit der APA der Wiener Psychiater Michael Musalek, auch ärztlicher Leiter des Anton Proksch Instituts.
"Ich glaube, es ist wesentlich, dass die Menschen verstehen, dass eine Krise langfristig nicht nur etwas Negatives bedeuten muss. Eine Krise gibt uns Menschen auch eine Chance dazu, einmal innezuhalten. Wenn uns etwas derart aus der Bahn wirft, auf der wir uns womöglich viele Jahre befunden haben, dann bietet sich damit auch die Chance zu überlegen, ob alles so weiter laufen muss, wie es bisher war", sagte der Psychiater, auch Begründer des Instituts für Sozialästhetik und psychische Gesundheit der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien.
Eine solche Selbstreflexion könne zu neu einzuschlagenden Richtungen im Leben führen. Altes, womöglich auch Negatives, könnte verlassen werden. "Das ist eine Möglichkeit, sich mit seiner Existenz neu für die Zukunft zu positionieren", erklärte Musalek.
Natürlich stürzten auch Todesfälle unter engen Angehörigen Menschen oft in arge Krisensituationen. Doch danach richteten sie sich oft wieder auf, schauten sich um und orientierten sich neu. Da sei die derzeitige Situation rund um SARS-CoV-2 eben nur ein anderes Beispiel für eine kritische Lage, in welche der Mensch offenbar hineingeraten könne.
Zeit für neue Achtsamkeit
Jetzt sei auch die Zeit, neue Achtsamkeit zu üben. "Ich sitze zu Hause, mache das Fenster auf und genieße beispielsweise die Sonne. Das tu ich im üblichen Getriebe sonst nie. Es sind die einfachen Dinge, die 'Kleinigkeiten', die uns wieder bewusst werden", betonte der Psychiater.
Hinzu komme die Möglichkeit, ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Menschen wirksam werden zu lassen. Eine wichtige Darstellung der Möglichkeiten zur Krisenbewältigung stelle genau das an oberste Stelle, sagte Musalek: "Das ist die Solidarität. Eines der ganz großen Probleme in unserer Gesellschaft ist ja die Entsolidarisierung. Und hier haben wir derzeit eine echte Chance, uns wieder mehr einander zuzuwenden und zusammenzuarbeiten."
Der Psychiater ortet derzeit bereits solche Tendenzen in Österreich: "Wie jetzt plötzlich mit unseren Alten umgegangenen wird, wie man sich um sie sorgt, das ist schon ein Zeichen einer wieder erstarkenden Solidarisierung." Das sollte auch für Solidarität mit psychisch Kranken gelten, die derzeit als ebenfalls vulnerable teilweise unter für sie extremen Belastungen stünden.
Und schließlich sollten die Menschen auch die positiven Seiten der derzeitigen Einschränkungen bei den sozialen Kontakten - dazu gehöre ja normalerweise auch das hektische Getriebe im beruflichen Alltag - nutzen. Musalek: "Also, ich erlebe diese derzeitige Entschleunigung meines Lebens positiv." Wenn man daran denke, zu wie vielen Terminen man sonst am Tag immer buchstäblich "am letzten Drücker" haste, sei auch das ein positiver Aspekt.
Einen Trick für einen positiven Ausblick in die Zukunft nannte in diesem Zusammenhang auch der Wiener Psychiater Georg Psota, Chefarzt der Wiener Psychosozialen Dienste (PSD): "Man kann sich auch die Denkaufgabe stellen, worauf man am 1. Juli dieses Jahres im Rückblick wohl am meisten stolz sein könnte?" Handeln nach der Maxime, dass man später mit Stolz und zu Recht auf Erreichtes auch in der "SARS-CoV-2-Vergangenheit" zurückblicken kann, trägt sicherlich zum Positiven bei