Die derzeit vorhandenen SARS-CoV-2-Tests sind gut, aber nicht perfekt. Dadurch eigenen sie sich kaum für flächendeckende Untersuchungen. Ein negatives Ergebnis gilt nur akut. "SARS-CoV-2-Abstriche sind als Suchtest in der Bevölkerung nicht geeignet", fasste der Medizinische Direktor des Wiener Krankenstaltenverbundes (KAV), Michael Binder, in einem Beitrag zusammen.
"Immer wieder sind wir mit der Forderung konfrontiert, dass zunehmend mehr Abstriche von Gesunden bzw. an Menschen ohne Krankheitssymptome oder ohne spezifische Vorgeschichte einer SARS-CoV-2 Infektion durchgeführt werden sollen. Ziel dieser Forderung ist das rasche und möglichst umfassende Erkennen von Infizierten oder Kranken und deren rasche Therapie und Absonderung aus der Gesellschaft", schrieb Binder, der die SARS-CoV-Maßnahmen in den städtischen Wiener Spitälern mit dem Ausbruch von Covid-19-Erkrankungnen in China geplant und implementiert hat.
Die Probleme von Massentests sind die Genauigkeit der vorhandenen Methoden, der Aufwand und die Konsequenzen. Ganz wichtig: Wer auf virusfrei getestet ist, kann schon am nächsten Tag infiziert sein.
Binder hat die Schwierigkeiten in einem Rechenmodell für eine Zwei-Millionen-Stadt formuliert. Die Grundbedingungen: Die Annahme beruht auf einer Einwohnerzahl von zwei Millionen Menschen. Zum Zeitpunkt der theoretischen Überlegung sind rund fünf Prozent mit dem Virus infiziert. Flächendeckende Tests mit der derzeit zur Verfügung stehenden Reverse-Transkriptase-PCR-Methode aus Abstrichproben werden gefordert. Finanzierung und Durchführung sind gesichert. Der wissenschaftlich durch große Reihenuntersuchungen validierte Test entdeckt 99 von hundert vorliegenden Infektionen. Die Untersuchungens sind zu 98 Prozent spezifisch. Er erkennt also bei 98 von hundert Gesunden, dass sie nicht infiziert sind.
Die Konsequenz: Unter der Annahme, dass fünf Prozent der Bevölkerung erkrankt sind, sollten von diesem Test unter idealen Voraussetzungen von zwei Millionen Menschen 100.000 Menschen als krank und 1.900.000 als gesund erkannt werden.
Test nicht ideal
Schon allein aus den Prozentanteilen für Sensitivität und Spezifität lässt sich aber ableiten, wie der Medizinische Direktor des Wiener KAV darstellte: Der Test ist nicht ideal, sondern nur sehr gut, und deshalb werden von den tatsächlich 100.000 Kranken, nur 99.020 richtig als krank erkannt, jedoch 980 fälschlich als gesund eingestuft. Da die Erkrankung bis zum Zeitpunkt der Untersuchungen nur fünf Prozent der Menschen erfasst hat, sollten 1,8 Millionen als gesund eingestuft werden. Die Realität sieht aber anders aus, nur 1.761.604 werden zwar richtig als gesund erkannt, 38.396 Personen werden aber von diesem Test fälschlich als krank, also falsch positiv, eingestuft.
Binder schrieb dazu: "Diese Modellrechnung an einer Stadt mit zwei Millionen Einwohnern demonstriert sehr deutlich, dass alle medizinischen Tests ein wesentliches Problem haben: Sie sind nicht zu hundert Prozent korrekt. In diesem Anwendungsbeispiel ist das Problem der falsch positiven Ergebnisse viel schwerwiegender, auch wenn wir in Kauf nehmen, dass 980 Bürger falsch negativ getestet werden, so beträgt die Anzahl der falsch Positiven, also klinisch Gesunden, 39 Mal so viel, nämlich 38.396 Bürgerinnen und Bürger unserer fiktiven Stadt."
Für diese falsch positiv Getesteten seien dann ebenfalls Maßnahmen zu ergreifen wie bei den wirklich Virus-positiven: Arbeitsverbote, Kontaktsuche, Quarantäne und wochenlange Versorgung von außen.
Sinnvoller sei es, sich auf Risikopersonen und auf die Kontakte von Erkrankten zu konzentrieren. Dazu gehörten auch Tests für Gesundheitspersonal etc. Weiters sollten Infektionsketten gesucht und Cluster für die Verbreitung der Krankheit - derzeit ist es eben Covid-19 durch SARS-CoV-2 - identifiziert und Quarantänemaßnahmen ergriffen werden.
Binder in seinem Aufsatz: "Dieser Prozess ist nicht ohne Aufwand, erlaubt aber das frühzeitige Erkennen von Fallketten oder Fall-Clustern und gestattet das differenzierte und gesteuerte Einleiten von Maßnahmen im Bereich der Öffentlichkeit." Dadurch würden auch negative Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft minimiert. Flächendeckende Virustests erscheinen demnach keinesfalls als "Allheilmittel".
Hinzu kommen hohe Kosten. Bei der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), welche bisher einen erheblichen Anteil zu der Zahl der durchgeführten Tests beigetragen hat, sprach man vergangene Woche von 70 Euro pro Untersuchung. Bei nur acht Millionen Einwohnern in Österreich wären das allein rund 560 Millionen Euro, abgesehen von technischer Machbarkeit und Logistik.