Eine Woche Ausnahmezustand – und Sie sind nahezu rund um die Uhr im Einsatz. Was hat sich für Sie persönlich verändert in dieser Woche?
RUDOLF ANSCHOBER: Alle Fäden laufen im Gesundheitsministerium zusammen. Die Taskforce, unsere Sondereinheit des Ministeriums, leistet hervorragende Arbeit. Die Top-Wissenschafter Österreichs beraten regelmäßig. Wir setzen aktuell auf digitale Kommunikationsformen wie Videokonferenzen oder Skype-Interviews. Über eine Social Media Livestream-Sprechstunde führe ich den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern. Persönlich versuche ich, meinen Prinzipien treu zu bleiben: die Morgen- und Abendrunde mit meinem Hund Agur und regelmäßige Qigong-Einheiten. Ich achte besonders auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung und kurze aber effektive Pausen mit Lockerungsübungen oder kurze Meditation bei einer Tasse Tee.
Man sieht oft den Innenminister an Ihrer Seite. Sind Sie schon ziemlich beste Freunde?
Das gemeinsame Ziel, die Bevölkerung zu schützen, schweißt zusammen. Wir sind Teil des „Team Österreich“, nämlich das Team Bundesregierung.
Was ist aus heutiger Sicht Ihr Worst Case Scenario?
Wir haben den Nachweis, dass die gesetzten Maßnahmen zu wirken beginnen. Wir liegen aktuell bei ca. 20 Prozent Wachstum an Erkrankten pro Tag. Zuvor waren es bis zu 40 Prozent. Aber ich warne eindringlich: wir dürfen nicht nachlassen. Die Richtung stimmt, aber es ist ein Marathon. Jeder von uns ist jetzt Teil der Lösung.
Wenn sich die Hoffnungen nicht erfüllen: Ist dann auch eine Quarantäne-Verordnung für ganz Österreich denkbar?
Am wichtigsten ist: 1 Meter Abstand in allen Bereichen – vom Betrieb über die Öffis bis zum Spaziergang. Ich bin überzeugt, wenn wir alle mitmachen, haben wir eine gute Chance, diese größte Gesundheitskrise der letzten Jahrzehnte in ganz Europa gut zu überstehen. Die Krise wird vermutlich Monate dauern, aber ich erwarte mir, dass bei konsequenter Umsetzung der Maßnahmen bis Ostern den wichtigsten Teil des Weges gegangen sind.
Die Baugewerkschaft fordert die Schließung der Baustellen – wäre da aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Für die Baustellen arbeiten wir derzeit an einer konsensualen Lösung der Sozialpartner.
Kur- und Reha-Anstalten haben ihre Patienten nach Hause geschickt, um im Fall des Falles Corona-Patienten aufnehmen zu können. Manche fühlen sich allein gelassen.
Medizinische Akutbehandlung und notwendige Anschlussheilverfahren werden natürlich weiterhin angeboten.
Schutzkleidung soll jetzt auch in Österreich verstärkt produziert werden. Welche Betriebe haben sich schon gemeldet bzw. kommen dafür in Frage?
Eine ganze Serie von Betrieben steigen mittlerweile in die Eigenproduktion von Schutzkleidung ein. Das hilft uns akut und ist auch eine wichtige Reform für die Zukunft. Wir müssen in gesundheitsrelevanten Bereichen wie auch der Medikamentenproduktion wieder viel unabhängiger werden - wir müssen die Globalisierung in diesem Bereich viel stärker lenken, um krisenunabhängiger zu werden.
Spitäler verlieren Ärzte und Pflegekräfte, weil diese selbst erkranken. Wie kann man sie besser schützen?
Ein Schutzkonzept für die Spitäler – unter anderem mit Schulungen, Besuchsbeschränkungen, einem starken Ausbau der Tests, Zugangssicherungen etc. – soll dazu führen, dass wir unsere Mitarbeiter in den Spitälern, die großartige Arbeit leisten, bestmöglich schützen. Jede Erkrankung, jede dadurch erzwungene Schließung von Spitälern schwächt uns, weil sie unsere Behandlungskapazitäten in der Krise verkleinern. Und natürlich arbeiten wir auch an der Frage, welche Personengruppen mit medizinischer Ausbildung uns helfen können.
Wer außer denen, die sich schon freiwillig gemeldet haben, soll sich angesprochen fühlen? Auch Ex-Zivildiener mit Nicht-Rotkreuz-Ausbildung? Auch junge Frauen?
Freiwillige insgesamt – alleine die Caritas hat bereits die Meldung von 2.000 neuen Freiwilligen. Aber auch die Absolventinnen und Absolventen des Freiwilligen Sozialen Jahres.
Die Jungen fühlen sich verantwortlich für die Alten. Wo gibt es noch Potenzial?
Gerade in dieser Krise zeigt sich, wie die jungen Menschen sich für die Älteren einsetzen und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und nachkommen. Das muss vor den Vorhang geholt und gewürdigt werden.
Die Beteiligungsquote bei den 15 – 29 jährigen ÖsterreicherInnen in der Freiwilligenarbeit liegt bei 43 %, in der Nachbarschaftshilfe bei 28 %. Gerade auch junge Menschen mit Migrationshintergrund engagieren sich ganz besonders in der Nachbarschaftshilfe (35 %).
Unzählige Nachbarschaftsinitiativen, Online-Unterstützungsangebote und Kommunikationsgruppen haben sich gebildet. Auch über das „Freiwilligenweb“ des Sozialministeriums können Menschen ihre Hilfe anbieten. Jeder Beitrag zählt und hilft, alle Menschen sicher durch diese Krise zu führen.
Von Claudia Gigler