Man sitzt stundenlang daheim am Küchentisch, aber nicht beim ausgiebigen Mahl, sondern bei der Arbeit. Coronavirus bedeutet oft "Homeoffice". Eine Vielzahl von Aufgaben ist dabei zu erledigen und nicht nur ein Vorgesetzter, sondern viele Chefs äußern Wünsche. Ihnen ist dringend etwas zu liefern, wobei die Fristen variieren. Das ist jetzt Alltag - für Kinder.
Als Tobias (Name von der Redaktion geändert, Anm.) am vergangenen Freitag vom Skikurs zurückkehrt, ist alles anders. Er hatte Glück und konnte noch eine unbeschwerte Woche verbringen, doch nun ist der Elfjährige mit einer völlig neuen Situation konfrontiert: Keine Schule mehr! Zumindest die nächsten Wochen. Die Freude darüber ist jedoch getrübt. Unterrichtsfreie Zeit bedeutet nicht Minecraft bis zum Abwinken. Das wird er lernen.
Denn schon am Donnerstag, als die Fragen punkto Schulschließungen und Betreuungsmöglichkeiten noch gar nicht alle beantwortet sind, erhalten seine Eltern ein erstes Mail. Es geht um Mathematik. Und es enthält genaue Erläuterungen, wie das Lernprozedere geplant ist. Zugleich wird von anderer Stelle bereits urgiert, möglichen Betreuungsbedarf für die nächsten Tage bekannt zu geben. Tobias kann, so wird letztendlich entschieden, zuhause bleiben, da auch immer ein Elternteil anwesend sein wird.
Während sein Vater und seine Mutter noch dabei sind, ihren eigenen Alltag für die nächsten Tage zu organisieren, wird sein eigener schon strukturiert. Denn am Montag meldet sich der Klassenvorstand mit einem Vorschlag für einen täglichen Homelearning-Stundenplan. Der entspricht in etwa dem in der Schule und zeigt: Der Lehrer ist besorgt und macht sich Gedanken - und hat selbst keine Kinder. Tobias beschließt jedenfalls, die Lernzeit eher in den Nachmittag zu legen.
Schließlich trudeln die Aufgaben für so ziemlich alle Fächer ein, oft mit ausführlichen Handlungsanleitungen, die sich eher nicht ähneln. Sie kommen noch dazu auf unterschiedlichem Weg. Die Webplattform Untis wird für die Bekanntgabe der Hausaufgaben genauso genutzt wie der E-Mail-Schulaccount der Kinder, der täglich zu monitoren ist. Corona zeigt also auch: Den Rahmen für eine koordinierte Kommunikation mit den Schülern zu schaffen, wäre eventuell eine Aufgabe für die Bildungspolitik.
Ein Drucker ist außerdem unerlässlich, möchte man übersendete Arbeitsblätter auch ausfüllen. Die Abgabefristen variieren, was für Tobias jedenfalls eine Vorahnung des späteren beruflichen Alltags vermittelt. Manche Lehrer wollen die Übungen erst in drei Wochen haben, die sind jedoch die Ausnahme. Die Rückkanäle divergieren ebenfalls. Einscannen und schicken wird mitunter empfohlen.
Auch das Abfotografieren und Senden der erledigten Aufgabe mit dem Handy ist erlaubt. Tobias frohlockt: Das böse Telefon, dessen Benutzung daheim und in der Schule stets ein Quell der Rüge ist, wird plötzlich offiziell unerlässlich. Und selbst das sonst meist verbotene WhatsApp wird zumindest toleriert - etwa für die Erstellung von Partnerreferaten.
Doch auch die analoge Welt existiert parallel. Bei manchen Aufgaben reicht es, sie in eine Mappe zu stecken und nach der virenbedingten Pause in die Schule mitzubringen - wobei alle Lehrer dies als möglichen Weg, falls der Zugang zu Elektronik schwierig ist, erlauben.
Und das ist gut so. Denn schon bald zeigt sich, dass Homeoffice-Infrastruktur begehrt ist. Auch Mama und Papa brauchen Laptop, WLAN, Drucker - und auch Druckerpapier. Der Vorrat hier ist begrenzt, was normalerweise kein Problem darstellt. Hätten nicht die Geschäfte geschlossen. Und weil der Alltag in der laut Politik größten Krisensituation seit dem Zweiten Weltkrieg ohnehin für manche nicht einfach zu bewältigen ist, regt sich bald Unmut, also etwa in der virtuellen Elterngruppe.
Es sei mehr Hausübung als jemals zuvor zu machen, wird da beklagt. Bald nutzen auch Eltern die diversen Rückkanäle, um dies kundzutun. Ihnen wird versichert, dass die Übungen nicht benotet werden dürfen - wobei ein Plus oder Minus in der Mitarbeit sehr wohl möglich ist. Was das genau heißt, bleibt vage.
Somit bleibt den Mamas und Papas nichts anderes übrig, als neben Job, Homeoffice und Haushalt die kommenden Wochen auch als Lehrkräfte - oder zumindest als eine Art Gangaufsicht - zu fungieren. Der von den professionellen Kollegen übermittelte Aufgabenkatalog bedeutet also mitunter Stress. Aber: Er ist natürlich auch eine gute Argumentationshilfe bei Kindern, die freiwillig nie und nimmer Stoff wiederholen oder gar erarbeiten würden.