Sie bauen Ihre Denkmodelle auf Fakten, Logik, Trends und Rationalität auf – und dann taucht plötzlich ein Virus auf. Müssen Sie Ihre Zukunftsprognosen jetzt verwerfen oder beeinflusst so etwas Langzeitentwicklungen gar nicht so massiv?
LARS THOMSEN: Solche Ereignisse werden uns auf dem generellen Entwicklungspfad vielleicht ein bisschen zurückwerfen, aber die Technologien, die die Zukunft prägen werden, werden trotzdem weiterentwickelt. Insgesamt bleiben die großen Trends intakt.
Aber verglichen mit Vorgängerpandemien gibt doch eine neue Qualität, weil es durch die globale Vernetzung der Güterströme Engpässen und Verzögerungen geben wird. Aus China kommen keine Güter mehr zu uns, umgekehrt kann auch nichts mehr nach China geliefert werden.
Warten wir einmal ab. Wir werden das Konzept der Globalisierung nicht durch ein Virus ad acta legen. Dafür fehlt auch die Infrastruktur für Dinge, die wir bisher in einem geteilten System produziert, ein- und verkauft haben. Aber die aktuellen Ereignisse werden uns vielleicht zum Nachdenken anregen: Müssen wir alles einmal rund um den Globus transportieren, bevor wir es konsumieren, oder können wir nicht einen Teil der Wertschöpfung wieder bei uns machen. Und ist es überhaupt noch sinnvoll, in zehn, 20 oder 30 Jahren einen Großteil unserer Energie aus fossilen Quellen zu beziehen und zu verbrennen? Oder haben wir die technologischen und konzeptionellen Möglichkeiten, energieautark zu werden.
Hatten Sie Greta Thunberg und das, was sie losgetreten hat, am Radar? Das hat ja über die Klimaschutzthematik direkten Einfluss auf Energieversorgungsfragen.
Nein, voraussagbar ist so etwas nicht. Aber es brauchte diesen Beschleuniger. Wir müssen wieder mutiger werden. Vor Greta sind wir ja fast eingeschlafen.
Warum?
Je besser es einer Gesellschaft geht, desto schneller kommt man an den Punkt, dass man nichts mehr verändern will. Wir haben bei uns derzeit ja paradiesische Zustände. Wir sind da, wovon viele Generation vor uns geträumt haben. Dazu kommt ein demografisches Problem: Wenn man sich anschaut, wer eine politische Entscheidung mittragen muss, haben wir im Moment eine Mehrheit an Akteuren, die in der zweiten Hälfte ihres Lebens angekommen ist und dadurch von großen Veränderungen nicht mehr betroffen sein wird.
Aber Jugend schützt umgekehrt nicht vor Konservativismus.
Richtig, es ist auch nur ein Faktor. Aber man braucht auch nicht darüber diskutieren, ob es legitim ist, dass Schüler für den Klimaschutz demonstrieren statt in die Schule zu gehen. Es ist vollkommen legitim, weil eine Schülerin von heute das Jahr 2100 noch erleben wird. Da würde ich auch gerne sehen, dass sich die Elterngeneration tatsächlich darum kümmert, dass entsprechend gehandelt wird. Deshalb hat es diesen „Weckruf“ von Greta gebraucht. Man sieht ja, wie stark sie polarisiert. Das ist in Wahrheit nur ein Indikator, wie wichtig ein 16-jähriges Mädchen sein kann, um unser Bewusstsein zu verändern.
Das Virus löst Hamsterkäufe, Reisewarnungen und Sperrzonen aus, die Klimadiskussion wird zunehmend aggressiver und polarisierter, die Rationalität bleibt auf der Strecke. Wohin führt das?
Wir müssen aufpassen. Wir sollten versuchen, dass wir nicht in die Falle tappen, und immer nur auf Stammtischniveau uninformiert über das Neue reden, sondern dass wir unsere Neugier einsetzen, um Neues zu erfahren und zu wissen, worüber wir diskutieren. Wir brauchen wieder einen gesunden Menschenverstand.
Wir trösten uns damit, dass wir bei allem Mehrverbrauch und Nochmehrbedarf von Energie ohnehin „Green Energy“ nutzen. Eine Augenauswischerei?
Nein, es ist ja nichts Verkehrtes dabei, mehr Energie zu nutzen, wenn man sie einsetzt, um einen höheren Nutzen zu haben.
"Jeder kann sein eigener Scheich sein"
Aber es geht um die Produktion.
Genau. Wenn wir fossile Ressourcen verbrauchen, die man aus der Erde pumpt und über den Umweg der Verbrennung in die Atmosphäre bringt, wo sie viel mehr Schaden anrichten, dann ist das nicht nachhaltig. Aber jeden Tag, an dem die Sonne aufgeht und auf ein Solarpanel scheint, liefert das schon Energie. Die Sonne strahlt rund zwölftausend Mal mehr Energie auf die Erdoberfläche, als die gesamte Menschheit täglich braucht, Wärme-Kälte-Erzeugung, Transport und Strom-Erzeugung eingerechnet. Wir bräuchten also eine Möglichkeit, ein Zwölftausendstel der Sonnenenergie, die auf die Erde trifft, umzuwandeln, um genug Energie für alle und alles zu haben.
Was braucht es?
Es braucht tolle Ideen, die zunächst utopisch erscheinen, und Umsetzer, die aus diesen Ideen etwas machen, was man bauen, kaufen und nutzen kann. Und es braucht Eigeninitiative. Man muss der Trägheit entgegenwirken. Gerade die erneuerbare Energie ist ein wunderbares Beispiel für die Demokratisierung von Energieerzeugung. Jeder kann seine eigene Energie produzieren, jeder sein eigener Scheich sein.
Klaus Höfler