Hinweis: Dieser Text ist ursprünglich bei Futter, dem jungen Magazin der Kleinen Zeitung, erschienen und wurde adaptiert. 

"Man kann sich auf mich verlassen; ich bin spontan und liebe Abenteuer", "Ich hoffe ich lerne jemanden kennen, der eine ähnlich positive Energie hat wie ich" oder "Familie ist mir sehr wichtig." Wenn man diese Sätze liest, könnte man meinen, sie stammen von einer Dating-App. Tatsächlich sind dies Auszüge von Profilen der Plattform "Write a Prisoner" (zu Deutsch: Schreib einem Häftling) einem Portal, das Gefängnisinsassen in den USA mit Menschen aus der Außenwelt vernetzt.

Durch TikTok haben Plattformen wie "Write a Prisoner" einen Aufschwung erhalten. Unzählige User – ein Großteil von ihnen Frauen – berichten dort von ihren Brieffreundschaften. Teils entwickeln sich dadurch sogar Beziehungen. Dabei birgt das Ganze durchaus Risiken. Das weiß auch Rebecca Brock. Sie selbst hat ihren heutigen Ehemann ebenfalls online kennengelernt. Die gebürtige Kärntnerin ist erst seit Kurzem mit ihm vereint. Nach einer zwölfjährigen Gefängisstrafe wegen eines bewaffneten Raubüberfalles kam Kory Brock Anfang Oktober frei. Die gemeinsame Zeit genießt das Paar aktuell, doch Rebecca selbst weiß, dass es auch ganz anders gehen kann: "Wir hatten Glück, dass uns die Liebe zu Jesus verbindet. Grundsätzlich muss man wirklich aufpassen, wenn man mit Insassen in Kontakt tritt. Da gibt es auch welche, die einem alles versprechen, und sobald sie raus sind, lassen sie einen fallen."

Faszination True Crime

Dass Menschen von True Crime fasziniert sind, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Nicht umsonst boomen Netflix-Produktionen über Serienkiller wie Ted Bundy und Jeffrey Dahmer. „Jeder Mensch weiß, dass er seine Abgründe hat und fürchtet sich davor", sagt Psychiater Reinhard Haller. In irgendeiner Form müsse sich der Mensch mit solchen Dingen auseinandersetzen, sagt er. Doch bei einer reinen Auseinandersetzung bleibt es nicht immer. So sehen kritische Stimmen in der Netflix-Serie über Dahmer eine Verherrlichung des Serienmörders. Es ist eine Gratwanderung - ebenso wie die Brieffreundschaften mit Verbrechern.

Aber wer sind die Straftäter, die auf Briefwechsel hoffen und wie läuft das Ganze ab? Filtern kann man die Profile auf "Write a Prisoner" nicht nur nach Alter, Geschlecht, Sternzeichen und - fragwürdiger Weise - Ethnie der Insassen. Die Suchfunktion bietet auch diverse Optionen zur Gefängnisstrafe an - lebenslänglich und Todesstrafe inklusive. Die Nachrichten, die man über die Website verschickt, werden ausgedruckt, von Wärtern durchgelesen und schließlich den Insassen überreicht. Diese antworten per Post. Das Mediengesetz in den USA unterscheidet sich vom österreichischen in vielerlei Hinsicht. Wird man in den Vereinigten Staaten verhaftet, so veröffentlicht die Polizei ein Foto und die Identität der Verdächtigen. Die Namen der Menschen, die auf "Write a Prisoner" zu finden sind, werden in diesem Artikel dennoch nicht veröffentlicht. Das hat zwei Gründe.

Zum Einen haben auch verurteilte Mörder ein Recht auf Privatsphäre. Zum Anderen steht den Angehörigen der Opfer Respekt zu. Sie haben Undenkbares durchgemacht. Bekommt die Person, die ihnen das angetan hat, eine Bühne, so werden sie retraumatisiert. Daher wurden die Namen in den folgenden Absätzen geändert.

© KK

Briefe aus dem Todestrakt

Auch Adam besitzt auf "Write a Prisoner" ein Profil. Er sitzt bereits seit 1998 im Todestrakt. Sein Fall gilt als kontrovers. Laut Medienberichten hat er einen niedrigen IQ, gilt daher als geistig beeinträchtigt. Was genau am verhängnisvollen Abend, der ihn ins Gefängnis brachte, vorfiel, wurde durch diverse Berichte rekonstruiert.

Es war ein Raubüberfall, der eskalierte. Adam soll im Auto bei einer Tankstelle gesessen haben, während sein Freund den Shop betrat und eine Waffe auf den Angestellten richtete. Als dieser den Forderungen nach Geld nicht nachkam, drückte Adams Freund ab. Vom Schuss alarmiert, eilte Adam in den Shop. Das berichten Medien. Er soll das Beweisvideo vernichtet und die Mordwaffe beseitigt haben. Beide Beteiligten wurden zum Tode verurteilt. Adam hätte - wie sein Komplize - schon vor einigen Jahren exekutiert werden sollen. Doch wenige Stunden, bevor ihn eine Giftspritze töten sollte, gelang seinem Anwalt ein Hinrichtungsaufschub. Seitdem sitzt er in seiner Zelle.

"Könnte ich jeden Tag Menschen schreiben, so würde ich das tun“, führt er in seinem fünfseitigen Brief aus. Er erklärt, dass er nichts zu verstecken habe und willigt einer Veröffentlichung seiner Antwort ein. „Aber die meisten sehen in uns Tiere, Kranke, Mörder etc. und ja, 98 Prozent sind das auch und verhalten sich auch so. Aber es gibt gute Leute wie mich und unschuldige Leute wie mich." Ob diese Schätzung stimmt, lässt sich natürlich nicht überprüfen.

Ein junger Mann musste in der Tatnacht sein Leben lassen. Gleichzeitig ist es schockierend, dass Adam, der augenscheinlich nicht den Schuss gefeuert hat, sterben muss. Man bekommt Mitgefühl. Und schlechtes Gewissen. Darf einem ein verurteilter Straftäter denn Leid tun?

Vom harmlosen Nachbar zum Mörder

"An und für sich ist das eine positive Reaktion", sagt Kriminalpsychologe Haller. "Aus der Ferne stellt man sich vor, welche Ungeheuer das sind. Aber wenn man direkt damit zu tun hat, erkennt man, dass etwas Menschliches in der Person steckt." Natürlich gäbe es Ausnahmen - bösartige Narzissten etwa. Doch die machen, so Haller, weniger als 0,3 Prozent der Bevölkerung aus.

"Die Gesamtfrage ist nicht jene, welche Persönlichkeiten zu Mördern werden, sondern unter welchen Bedingungen man zu einem Mörder wird", sagt Haller. Gerade wenn starke Emotionen im Spiel sind - Eifersucht, Kränkungen - könne es sein, dass ein harmloser Nachbar plötzlich etwas Schreckliches tue.

Aber wie lebt es sich im Todestrakt? "Die Bedingungen sind grausam", schreibt ein weiterer Insasse, der wegen Mordes im Gefängnis sitzt. "Es ist schwer und nicht fair." Dass die Todesstrafe unmenschlich ist, darüber herrscht in weiten Teilen der Welt Konsens. Schließlich wird sie in 111 Ländern – darunter Österreich – nicht praktiziert. Doch ob die Bedingungen, unter denen der erwähnte Insasse lebt, tatsächlich unfair sind, ist schwer einzuschätzen und eine ethische Frage. Was steht einem Menschen zu, der das Leben eines anderen Menschen genommen hat?

Nicht leichtfertig eingehen

23 Stunden pro Tag sitzt der Betroffene in einer Zelle, die die Größe einer Ein-Zimmer-Wohnung hat. "Ich bekomme nicht viel Post und das Essen hier ist Müll. Ich rede von Bohnen; rohen Bohnen und Fleisch. Ich bin einfach nur müde", schreibt er und bittet um Geld. Das Geld wolle er für grundlegende Dinge - Shampoo, Essen, Büroartikel - verwenden. Ob er mit seiner Anfrage bei seinen Brieffreunden Erfolg hat, bleibt unklar.

Zumindest eines steht fest: So schlimm die Tragödien auch sind, beinahe keine davon hat sich in schwarz und weiß abgespielt. Was sich einige Menschen vielleicht nicht eingestehen wollen: Um zu morden, muss man kein Monster sein. Haller selbst glaubt, dass in uns allen etwas Böses steckt. Aber: "Die Umstände sind dabei immer ganz entscheidend."

So oder so - eine Brieffreundschaft mit einem Häftling sollte man nicht leichtfertig eingehen.