Frau Botschafterin, heute vor zwei Jahren haben die Taliban die afghanische Hauptstadt Kabul eingenommen und die Macht im Land übernommen. Wie begegnen Sie diesem Tag?
MANIZHA BAKHTARI: Ich bin enttäuscht. Ich hätte nie gedacht, dass wir zwei Jahre später noch immer an diesem Punkt stehen werden. Es ist uns bis heute nicht gelungen, über die Taliban zu siegen oder zumindest ihre Politik zu verändern, um eine Republik aufzubauen, wo Menschen ein Recht auf Freiheit und Bildung haben. Also stehe ich da, zwei Jahre später, und bin frustriert, wie Millionen anderer Menschen, insbesondere Frauen und Mädchen.

Könnte die Situation für Frauen noch schlimmer werden?
Die Taliban wollen einen Ausgleich für jeden Erlass, der Frauen mehr Rechte zuspricht. Im Juli haben sie Kosmetik- und Friseursalons verboten. 60.000 Frauen haben ihren Job verloren. Ich glaube, sie werden immer mehr Druck aufbauen ...

Und Frauen im schlimmsten Fall verbieten das Haus zu verlassen?
Ich glaube nicht, dass sie das schaffen würden. Es gibt Millionen von Frauen ohne einen Mann oder männliche Familienangehörige. Wie sollen diese Frauen Wasser holen, Lebensmittel besorgen. Das können sie nicht tun. Aber natürlich werden sie immer mehr junge Frauen unter Druck setzen, ihnen das Recht auf Bildung und ein eigenes Einkommen entziehen. Wenn ein Mädchen keinen Job hat, kein Einkommen, keine Freiheit wird sie zu einem Opfer und zwangsverheiratet werden. Oft ist es die einzige Lösung für diese Frauen, um zu überleben, weil die Lage ausweglos scheint.

Manizha Bakhtari arbeitet seit Jänner 2021 als afghanische Botschafterin in Wien
Manizha Bakhtari arbeitet seit Jänner 2021 als afghanische Botschafterin in Wien © Privat

Wie viel Einfluss haben Sie als Diplomatin ohne Regierung?
Ich kann nicht viel tun, das stimmt. Im Jänner 2021 bin ich nach Wien gekommen, um als Botschafterin zu arbeiten, sieben Monate später ist die Regierung in Afghanistan zusammengebrochen und alles hat sich verändert. Wir haben eine gute Verbindung zur österreichischen Regierung, aber meine Arbeit ist nicht dieselbe, wenn man selbst keine eigene Regierung hat. Das Einzige, was ich tun kann, ist zu lobbyieren. Ich versuche den Politikerinnen und Politikern klar zu machen, dass wir die Taliban nicht anerkennen dürfen, dass wir nicht mit ihnen zusammenarbeiten dürfen. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass Österreich ein Teil der EU ist. Sollte sich die EU kollektiv auf eine diplomatische Zusammenarbeit mit den Taliban einigen, wird Österreich der Entscheidung folgen. Daran kann ich nichts ändern. Für mich würde das bedeuten, dass ich meine Arbeit als Botschafterin niederlegen müsste. Ich weiß nicht, wie lange ich in Österreich bleiben kann. Aber ich werde versuchen weiterzuarbeiten, solange ich kann.

Stehen Sie in Kontakt mit den Taliban?
Nein. Manchmal schicken Sie uns Briefe, wo es um irgendwelche Befehle geht. Zum Beispiel wollen Sie, dass sich alle Männer und Frauen nach strikten islamischen Regeln kleiden. Darauf gehen wir nicht ein.

Gibt es einen Widerstand gegen das Regime?
Es gibt natürlich Frauen und Männer, vor allem junge Menschen, die Widerstand leisten. Es gibt zum Beispiel Frauen, die Mädchen in geheimen Schulen unterrichten. Aber die Situation ist insgesamt sehr schwierig. Friedliche Proteste werden niedergeschlagen, wer sich daran beteiligt wird gefoltert, geschlagen oder weggesperrt. Mit dem Krieg in der Ukraine und den multiplen Krisen habe ich die Sorge, dass auf Afghanistan vergessen wird. Trotzdem ist es wichtig, dass wir die Hoffnung nicht verlieren. Die Taliban können nicht für immer regieren, es müssen Änderungen kommen. Aber es braucht Geduld und eine Strategie.