Etsuo Miyoshi erinnert sich noch gut daran, wie er versuchte, das Produkt seines Familienbetriebs im Ausland bekannt zu machen. "Das englische Wort für Handschuh ist ja 'glove'", erinnert sich der 83-Jährige an seinen frühen Frust als Unternehmer. "Aber wenn ich 'glove' sagte, verstand man mich trotzdem nicht." Im Akzent von Miyoshis Muttersprache Japanisch klang "glove" für das Gegenüber wie "gurabu" – sodass oft keiner wusste, wovon er sprach. "Unser Produkt war hochwertig. Aber um es zu verkaufen, musste ich nicht nur Experte von Handschuhen sein, sondern auch im Englischen!"
Expansion scheitert an Sprachbarriere
So war die Ernüchterung groß, als Etsuo Miyoshi in den 1960er-Jahren den Handschuhhersteller Swany geerbt hatte. Sein Plan einer globalen Expansion geriet schnell ins Stocken. "Ich bemühte mich im Englischen, aber bis ich halbwegs fließend sprechen konnte, verging ein Jahrzehnt." Denn Japanisch habe mit Englisch – der globalen Lingua Franca – praktisch nichts gemein. "Gut im Englischen zu werden, ist für Japaner sehr schwierig. Und vielen Menschen auf der Welt geht es genauso." Wäre es daher nicht einfacher, fragt Miyoshi, wenn es eine neutrale Weltsprache gäbe?
"Im Prinzip gibt es sie ja schon", betont der Herr mit altersweißem Haar und blickt an die holzvertäfelte Wand seines Privatbüros. Neben einer eingerahmten Fotografie von sich selbst vorm Brandenburger Tor hängt da ein Porträt von Ludwig Zamenhof, dem Erfinder des Esperanto. Diese Sprache, ist sich Etsuo Miyoshi sicher, würde die Welt um ein Vielfaches einfacher machen. "Ich habe es selbst ausprobiert! Als Japaner lernt man Esperanto fünfmal so schnell wie Englisch!" Seine Schlussfolgerung: Weltweit sollten künftige Generationen unbedingt Esperanto lernen.
Dieser Sprache, von der schon viele gehört haben, die bis heute aber nur relativ wenige Menschen sprechen, lag genau diese Vision zugrunde: Durch eine einfach zu meisternde Kommunikationsform sollen sich die Angehörigen aller Völker annähern, in Austausch treten, sich verstehen und schätzen lernen. Ludwig Zamenhof, ein jüdisch-polnischer Arzt, hatte am 26. Juli 1887 das erste Lehrbuch seiner Plansprache veröffentlicht, zuerst auf Russisch, dann auf Polnisch, Französisch, Deutsch und Englisch. Die deutsche Ausgabe erhielt nur 931 Wortelemente – weniger sollte mehr sein.
So hat es sich Etsuo Miyoshi zur Aufgabe seines Lebensabends gemacht, Esperanto zu fördern. Seit er sich aus dem Familienbetrieb Swany über die vergangenen Jahre zurückgezogen hat, reist er nicht nur um die Welt, um in Vorträgen die Vorzüge der Sprache zu betonen. Für seine Überzeugung gibt er auch viel Geld aus. Auf seinem Schreibtisch breitet Miyoshi eine Ausgabe der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" aus und zeigt auf ein ganzseitiges Inserat mit dicken Lettern in grüner Farbe – der Erkennungscouleur von Esperanto, als Symbol für Hoffnung. Da heißt es: "EU: ja; Euro: ja; Esperanto?"
"In einigen führenden Zeitungen Europas kaufe ich Raum für solche Anzeigen", erklärt Miyoshi. Der umtriebige Ruheständler zählt ein paar Printmedien, die sein Inserat sowohl gedruckt als auch online veröffentlicht haben. "Dazu gehören bisher die 'Süddeutsche', 'Frankfurter Allgemeine Zeitung', 'Die Zeit', außerdem je zwei Zeitungen aus Frankreich und Polen." Mehrere Millionen Euro habe er dafür bis jetzt bezahlt. Denn Miyoshi ist sich sicher: Eine Popularisierung von Esperanto könne nur von Europa ausgehen. "Wenn die EU Esperanto fördert, sind gleich mehr als 25 Länder betroffen. Dann ginge es voran!"
Ob Zeitungsinserate hierfür eine kluge Investition sind, hat Miyoshi auch mit seiner Familie intensiv diskutiert. "Sie haben mich erst dafür kritisiert, dass ich Geld zum Fenster hinauswerfe. Aber mittlerweile sind wir alle der Meinung, dass es einen Versuch wert ist." Denn gerade seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine drohe die Welt einmal mehr, in Nationalismen oder Machtblöcke abzudriften. Diese Gefahr mache eine gemeinsame Kommunikationsbasis umso wichtiger. "Je mehr Menschen jetzt an Esperanto denken, desto besser!"
Zunächst erlebte Esperanto einen Boom
Es waren schonmal mehr. In den Jahren nach der Gründung durch Ludwig Zamenhof boomte Esperanto, wurde vor allem in der Arbeiterschicht angenommen, wo Fremdsprachenkenntnisse weniger üblich waren als im bürgerlichen Milieu. Nicht nur in Europa, sondern auch in China und Japan gründeten sich Esperanto-Vereine. Der Japaner Inazo Nitobe, einst stellvertretender Generalsekretär des nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Völkerbunds, drängte als Esperanto-Sprecher darauf, dass die Sprache auf die Lehrpläne komme.
Gegner kannten die Sprache immer – nicht zuletzt durch Staatsvertreter Frankreichs, die die Dominanz des Französischen bedroht sahen. Die schwersten Rückschläge aber erlitt Esperanto durch den Aufstieg des Faschismus. In Deutschland verboten die Nationalsozialisten diverse Esperanto-bezogene Aktivitäten. Und im auf den Zweiten Weltkrieg folgenden Kalten Krieg sprach der Westen Englisch, der Osten Russisch. Für Esperanto blieb kaum noch Platz.
Esperanto-Boom ist vorbei
Dabei lässt sich keineswegs sagen, Esperanto sei tot. Rund eine Million Menschen beherrscht die Sprache heutzutage. Durch Sprachlern-Apps wie Duolingo erfahre Esperanto derzeit sogar einen neuerlichen Boom, jährlich bis zu 300.000 neue Personen sollen sich daran versuchen, heißt es seitens des deutschen Esperanto-Verbands. In der Familie Miyoshi wurde die Sprache auch schon an die nächste Generation weitergegeben. "Mit meiner Tochter spreche ich regelmäßig auf Esperanto", sagt Etsuo Miyoshi.
"Beruflich konnte ich die Sprache leider nur selten nutzen. Einmal aber, vor 25 Jahren in Polen, habe ich auf diese Weise einen Geschäftspartner gewonnen!" Unter "Esperantisten" bestehe ein Grundvertrauen, weil man meist die Werte des Internationalismus und auch des Pazifismus teile. So spannt sich heute ein globales Netzwerk, in dem man auch fremde Reisende beherbergt, weil sie Esperanto sprechen. "Wir haben sonst nicht so oft die Möglichkeit, die Sprache zu praktizieren", sagt Etsuo Miyoshi und hält das von ihm designte Inserat noch einmal hoch.
Die Forderung war da so deutlich wie die Verheißung: "Wenn die EU Esperanto einführt, dann werden alle dies mit Freude sprechen und eine wundervolle Welt wird uns erreichen, ohne Übersetzer oder Dolmetscher."
Felix Lill (Tokio)