Die Katastrophe kam mit Ansage. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag stürzten Millionen Tonnen Geröll und Gestein in Richtung des kleinen Schweizer Ortes Brienz und kam unmittelbar vor den ersten Häusern zum Stehen. Das Bergdorf wurde bereits vor Wochen evakuiert, Menschen kamen daher glücklicherweise nicht zu Schaden.
Was zum Bergsturz führte
"Das Geröll ist auf einem durch enormen Druck im Berg entstandenen Wasserfilm aufgeschwommen und Richtung Tal geschossen", erklärt der Geologe Reto Thöny, der den Vorfall untersucht. Weil das Gebiet ohnehin anfällig für derartige Vorkommnisse sei, hätte man sich vorbereitet. Neben der Evakuierung des Gebietes hatte man vor einem Jahr Tunnel in den Berg gebohrt, um das Wasser abfließen zu lassen. "Ohne diese Maßnahmen wäre vom Dorf wohl nichts mehr übrig", so Thöny.
"Brienz dürfte kein Einzelfall bleiben", sagt Alexander Podesser, Leiter der Regionalstelle Steiermark von GeoSphere Austria. Er geht davon aus, dass auftauender Permafrost in Zukunft zu ähnlichen Vorkommnissen in anderen Gebirgen führen wird. Auftauendes Wasser dringt in das Gestein ein und macht das Geröll spröde. "Es ist wie bei einer Hausmauer, in die über Jahre Wasser eindringt, irgendwann bricht sie – so ist es auch bei Gestein", erklärt Podesser. In Brienz hat Permafrost aber keine Rolle gespielt, die Region ist dafür zu tief gelegen. "Wasser ist aber immer eine Gefahr für Steinschläge – egal von wo es kommt", sagt Thöny.
Wassermassen als Gefahr für die Berge
Meteorologisch gesehen unterscheidet sich ein Steinschlag von einem Bergsturz nur durch die Masse, die den Hang hinab schießt. Podesser geht davon aus, dass in Zukunft keine Gebirge mehr vor derartigen Ereignissen sicher sind. Zuletzt habe es ähnliche Entwicklungen zu Ende der Eiszeit gegeben, als sich die Temperaturen massiv wandelten und Permafrost in Gebirgen schmolz.
In Hinblick auf das steigende Gefahrenpotenzial könnte er sich für Wanderrouten farbliche Markierungen vorstellen, die auf das jeweilige Risiko hinweisen – ähnlich wie bei Skipisten. Die TU Graz hatte im Dezember 2022 eruiert, welche Berg- und Wanderwege besonders steinschlag-gefährdet sind.
Die TU Graz hatte in einem Forschungsprojekt im Dezember 2022 bereits eruiert, welche Berg- und Wanderwege besonders gefährdet für Steinschlag sind.
Durch den Klimawandel geht auch natürlicher Schutz verloren: Dichte Schneedecken hatten einen bremsenden Effekt bei Steinschlägen – dieser nimmt ab. "Regenfälle oberhalb von 2000 Metern führen jetzt dazu, dass es hier keinen Schutz mehr gibt", so Podesser. Der Regen bringt zudem gefährliche Wassermassen in die Berge.
In Brienz kam man mit dem Schrecken davon. Die Felsmassen stoppten knapp vor dem Dorfkern. Vorher-nachher-Bilder zeigen die massiven Veränderungen im Landschaftsbild. Am Vortag waren in dem Gebiet noch nackte Felsen, einzelne Brocken, helles und dunkles Gestein sowie darunter Wiese, Bäume und eine Holzhütte zu erkennen. Am Freitag lag dies alles unter dem gigantischen Schuttberg.