Frankreich will den Bau neuer Atomreaktoren beschleunigen. Die Nationalversammlung in Paris verabschiedete am Dienstagabend ein Gesetz, das den Abbau bürokratischer Hürden für den von Präsident Emmanuel Macron angekündigten Bau von sechs neuen Reaktoren bis 2035 vorsieht. Sie sollen in der Nähe bereits bestehender Atomkraftwerke gebaut werden. Dafür sollen die Genehmigungsverfahren abgekürzt werden.
399 Abgeordnete stimmten für das Gesetz, neben Macrons Regierungspartei auch die Rechtspopulisten vom Rassemblement National, die konservativen Republikaner und die Kommunisten. 100 Nein-Stimmen kamen von den Grünen und der linkspopulistischen Partei La France Insoumise. Die Sozialisten enthielten sich.
Anteil von Atomstrom soll hoch bleiben
Neben kürzeren Genehmigungsverfahren wird mit dem neuen Gesetz auch das seit 2015 geltende Ziel abgeschafft, den Anteil von Atomstrom bis 2035 von ursprünglich mehr als 70 bis auf 50 Prozent herunterzufahren. Außerdem wird die zum selben Zeitpunkt beschlossene Höchstgrenze für Atomstrom gekippt, die bisher bei 63 Gigawatt lag. Dies soll den Weg für den Neubau von Reaktoren freimachen.
Atomkraftgegner verweisen darauf, dass eine solche politische Wende nicht in einem eher technischen Gesetz untergebracht sein sollte, sondern einer öffentlichen Debatte bedürfe. Ein Gesetz zur Energieversorgung der kommenden Jahre und zum geplanten Strommix ist im Sommer geplant. Die Umweltorganisation Greenpeace wirft Frankreich vor, den Neustart der Atomindustrie "mit Gewalt durchzusetzen".
Energieministerin Agnès Pannier-Runacher wollte am Dienstag zudem die Vertreter einer europäischen Pro-Atom-Allianz empfangen, an der 16 Länder beteiligt sind, unter anderem Belgien, Polen und Schweden. Italien war als Beobachter eingeladen und Großbritannien als Sondergast. Auch die EU-Energiekommissarin Kadri Simson wurde erwartet.
Ziel sei der Aufbau einer unabhängigen, europäischen Wertschöpfungskette, hieß es von französischer Seite. Das französische Unternehmen Orano will daher in Tricastin künftig verstärkt angereichertes Uran produzieren, um weniger aus Russland importieren zu müssen.
Wende hin zu erneutem Ausbau
Die französische Produktion von Atomstrom hatte im vergangenen Jahr unter zahlreichen abgeschalteten Reaktoren gelitten. Der alternde Akw-Bestand hatte so wenig produziert wie seit drei Jahrzehnten nicht. Im März waren erneut Risse in Leitungen des Notkühlsystems an mehreren Reaktoren bekannt geworden, die deutlich tiefer waren als die zuvor bereits bekannten Schäden.
Macron hatte im Februar 2022 die Wende zu einem erneuten Ausbau der Atomkraft bekannt gegeben. Er will noch während seiner Amtszeit das Fundament legen lassen für die ersten beiden von sechs geplanten neuen Atomreaktoren, die in Penly am Ärmelkanal entstehen sollen. Macron begründet die Atompolitik damit, dass Atomkraft emissionsarm sei und zur unabhängigen Energieversorgung des Landes beitrage.
Kritiker verweisen darauf, dass Frankreich etwa die Hälfte des für die Atomkraftwerke benötigten Urans aus Kasachstan und Usbekistan importiert. Der Transport des Rohstoffes wird nach Angaben von Greenpeace weiterhin vom russischen Unternehmen Rosatom kontrolliert.