Schwertwale gelten eigentlich als friedliche Meerestiere und gehören zur Familie der Delfine. Doch immer mehr Segelfreunde, die im südeuropäischen Atlantik unterwegs sind, haben keine guten Erinnerungen an die Begegnung mit diesen Walen, die sieben bis acht Meter lang werden können.
Kurz vor Gibraltar rumpelte es
Denn die Orcas, die wegen ihrer brutalen Jagdmethoden auch Killerwale genannt werden, lädieren zunehmend Segelschiffe und bringen diese mit mysteriösen Attacken in Seenot. Jetzt haben die tonnenschweren Tiere sogar erstmals eine Segeljacht versenkt. Der Schweizer Skipper Werner Schaufelberger wird seinen Atlantik-Segeltörn von der Insel Teneriffa zur spanischen Festlandküste so schnell nicht vergessen. Er steuerte dieser Tage das 16 Meter lang Charter-Segelschiff "Alboran Champagne" durch die Nacht, als es plötzlich kurz vor Gibraltar laut rumpelte.
"Zuerst dachte ich, dass wir etwas gerammt hatten. Doch dann wurde mir klar, dass es Orcas waren, die auf das Schiff losgingen", zitiert das Fachmagazin "Yacht" den erfahrenen Segellehrer. Dieser war mit drei weiteren Besatzungsmitgliedern unterwegs. Der 72-jährige Schaufelberger bildet für die Schweizer Bootsfahrschule Hochsee-Zentrum Segler aus. "Die Angriffe waren brutal. Es waren zwei kleinere und ein größerer Orca." Möglicherweise handelte es um ein Muttertier und um zwei Jungwale. "Die beiden Kleinen rüttelten hinten am Ruder, während der Große immer wieder Anlauf nahm und dann mit voller Wucht von der Seite das Schiff rammte", berichtet der Skipper.
Er habe dann sofort, wie es bei solchen Begegnungen mit Schwertwalen empfohlen wird, den Motor ausgeschaltet und die Segel eingeholt. Die alarmierte spanische Küstenwache habe gefragt, ob er Hilfe benötige, und dann dazu geraten, Ruhe zu bewahren und erst einmal abzuwarten. Doch die Wale ließen nicht locker. Zwar schien es mehrmals so, als ob die Orcas genug hätten und davonschwimmen würden. Doch der Eindruck täuschte: Nach einigen Minuten Pause gingen die Attacken weiter. Mehr als eine Stunde dauerte dieser Albtraum. Erst als das Ruderblatt brach und das Schiff manövrierunfähig war, ließen die Schwertwale von dem Schiff ab und verschwanden.
Als Schaufelberger die Schäden am Bootsrumpf untersuchte, entdeckte er im Heck neben dem Ruder zwei Löcher, durch die Wasser in den Rumpf eindrang. Er setzte einen Notruf ab. Die Küstenwacht schickte einen Rettungskreuzer, der die vier Besatzungsmitglieder aufnahm und dann versuchte, die "Alboran Champagne" in den elf Seemeilen entfernten Hafen der spanischen Küstenstadt Barbate zu schleppen. Doch das Manöver misslang. Weil immer mehr Wasser in das Boot strömte, mussten die Retter die Abschleppleine kappen. In Sichtweite zum rettenden Hafen versank das Segelschiff am frühen Morgen im Meer.
Spaniens Seenotdienst meldet, dass nur Stunden zuvor ein weiteres Segelschiff vor der südspanischen Küste ähnliche Probleme mit mehreren Schwertwalen hatte und ebenfalls in Seenot geriet. Auch in diesem Fall demolierten die Meerestiere das Ruder. Aber das Schiff konnte ohne Probleme an die Küste geschleppt werden. Schon seit mehreren Jahren kommt es im südeuropäischen Atlantik vor der Küste Spaniens, Portugals und Frankreichs immer wieder zu rätselhaften Angriffen von Schwertwalen auf Segelboote. Vor allem im Frühjahr und Sommer, wenn Thunfischschwärme an der Küste entlangziehen.
Forschergruppe untersucht "Interaktionen"
Die internationale Forschergruppe "Orca Ibérica" untersucht systematisch alle Vorfälle mit Schwertwalen. Hunderte Attacken wurden bereits dokumentiert, wobei die Biologen lieber von "Interaktionen" sprechen und nicht von "Angriffen". Meistens wurden dabei die Ruderanlagen der Segelschiffe mit Bissen und Rammstößen zerstört. Inzwischen glauben die Wissenschaftler, eine plausible Erklärung für das Verhalten der Tiere gefunden zu haben. "Es spricht immer mehr dafür, dass die Elterntiere mit ihren Jungen die Thunfischjagd trainieren", sagen sie. Das sich am Heck bewegende Ruderblatt der Segelschiffe diene möglicherweise als "Lernwerkzeug", das die Schwertwale an die Schwanzflosse der Thunfische erinnere.
Zu dieser Theorie passt die Beobachtung des Schweizer Skippers Schaufelberger: Auch er hatte den Eindruck, dass der erwachsene Schwertwal den beiden Jungtieren beibrachte, wie man angreift. "Die beiden kleinen Orcas haben sich die Technik von dem großen Tier abgeschaut."
Ralph Schulze