Wo die letzte Ruhestätte der „Montevideo Maru“ ist, dies galt über Jahrzehnte hin als eines der größten Rätsel des Zweiten Weltkrieges. Mehr als 1000 Kriegsgefangene, darunter 980 australische Soldaten und Zivilisten, kamen ums Leben, als das japanische Schiff von einem US-amerikanischen U-Boot torpediert wurde und sank. Als am Wochenende die Meldung über die Ticker der Agenturen lief, dass das Wrack des Schiffes gefunden worden sei, schloss sich ein Kapitel für die Familien und Nachfahren der Verstorbenen.
Dass es dem Expertenteam gelang, das Wrack im weitläufigen Südchinesischen Meer zu finden, gleicht einem kleinen Wunder. Denn die Überreste des Schiffes liegen in einer Tiefe von mehr als 4000 Metern und damit tiefer als die „Titanic“. Ein ehemaliger Marineadmiral und erfahrener U-Boot-Experte, beschrieb im Interview mit dem staatlichen australischen Sender ABC nun, wie akribisch die Experten vorgehen mussten, um die Überreste des Schiffes in der extremen Tiefe aufzuspüren.
„Relativ großes Suchgebiet“
„Die Planung für die Mission begann vor vielen Jahren“, erklärte Tim Brown. In den letzten Jahren sei sie dann nochmals intensiviert worden. Das Team, das aus Schifffahrtsarchäologen, Restauratoren, Tiefseeexperten sowie ehemaligen Marineoffizieren bestand, durchforstete unzählige Aufzeichnungen aus den USA, Australien und Japan. Daraus erstellten die Experten einen detaillierten Plan, auf dem die Suche letztendlich basierte. Als entscheidend stellten sich schließlich die historischen Aufzeichnungen der „USS Sturgeon“ heraus, die die „Montevideo Maru“ nachts versenkte, ohne zu wissen, dass sie auf dem Weg zur Insel Hainan Kriegsgefangene transportierte.
Dadurch konnte das Team zumindest ein „relativ großes Suchgebiet“ kartieren. Das Spezialistenteam ging dann Anfang April gemeinsam mithilfe des niederländischen Unternehmens Fugro, einem Spezialisten für Tiefseevermessungen, auf Expedition, um das Wrack in den Tiefen des Südchinesischen Meeres nordwestlich von Luzon, der größten Insel der Philippinen, zu lokalisieren.
Schichtarbeit rund um die Uhr
Die Crew arbeitete in zwei Schichten rund um die Uhr und brachte modernste Technologie zum Einsatz, um zunächst den Meeresboden sorgfältig zu kartieren. Im Anschluss wurde das autonome Unterwasserfahrzeug (AUV) von Fugro in die Tiefe entsandt, das sowohl mit einem Fächerecholot als auch mit einem High-Fidelity-Side-Scan-Sonar ausgestattet ist. Das Fahrzeug wurde auf eine vorprogrammierte Route geschickt, etwa 100 Meter über dem Meeresboden in einer Tiefe von über 4000 Metern.
„Glücklicherweise haben wir festgestellt, dass der Meeresboden in dieser Region spärlich und flach ist – perfekt, um ein Wrack zu sehen“, sagte Brown. „Jeder Durchlauf dauerte ungefähr 40 Stunden, bevor wir das AUV zu unserem Schiff zurückholen mussten.“ Im Anschluss verarbeiteten die Experten dann Terabytes an Daten. Letzteres dauerte viele Stunden, bevor das Team überhaupt Bilder auf den Bildschirmen zu sehen bekam. Und auch dann sei es immer noch anstrengend und schwierig gewesen, auf den Bildern etwas zu erkennen, sagte der Experte. Denn in 4000 Metern Tiefe gibt es keine natürliche Lichtquelle mehr.
Detaillierte und gespenstische Bilder
Als das Team schließlich das dritte Untersuchungsgebiet fast abgeschlossen hatte, stieß das AUV tatsächlich auf das Wrack der „Montevideo Maru“. Es sei ihnen allen „auf den ersten Blick klar“ gewesen, meinte Brown. „Wir haben sofort gespürt, dass wir es gefunden hatten – es sah einfach richtig aus.“ Trotzdem dauerte es noch mehrere Tage, bis die Crew ausreichend Beweise gesammelt hatte, um sich hundertprozentig sicher sein zu können. Immer wieder schickten die Tiefseeexperten das AUV über die havarierte „Montevideo Maru“, die zur letzten Ruhestätte für so viele Menschen wurde. Die Bilder seien „detailliert“, gleichzeitig aber auch „gespenstisch“, sagte der Experte dem australischen Sender.
Die Suche, die am 6. April im Südchinesischen Meer, 110 Kilometer nordwestlich von der Luzon, begonnen hatte, konnte nach nur zwölf Tagen Erfolg melden. Der Moment, als die Bilder des havarierten Schiffes über die Bildschirme flimmerten, war für das gesamte Team emotional, noch mehr aber für die Australierin Andrea Williams, deren Großvater und Großonkel bei der Tragödie ums Leben gekommen waren. Der Tag, an dem das Schiff entdeckt wurde, sei für alle Australier, die mit diesem tragischen Desaster zu tun hätten, „ein außerordentlich bedeutsamer Tag“, sagte Williams. Ein Teil des Teams gewesen zu sein, das die „Montevideo Maru“ entdeckte, sei „sehr emotional, aber auch erfüllend“ gewesen.
Das Wrack der „Montevideo Maru“ wird nicht gehoben oder gestört, das heißt, es werden weder Artefakte noch menschliche Überreste aus der Tiefe des Meeres entfernt. Aus Respekt vor den Familien der Verstorbenen werden nur Aufnahmen für Forschungszwecke gemacht.
Barbara Barkhausen (Sydney)