Sein Drogengeständnis hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schon im vergangenen Jahr abgelegt. "Ein guter Arzt probiert alles", sagte der studierte Mediziner damals im leicht ironischen Interview mit der "Heute Show" über seine Erfahrungen mit Cannabis.
Nach eigenem Bekunden war die Wirkung aber nicht so berauschend. Dennoch stellt Deutschland seine Drogenpolitik um. Kiffen soll legalisiert werden – unter strengen Auflagen. Für Lauterbach, den Arzt und Gesundheitsminister, steht dabei ein medizinischer Aspekt im Vordergrund. "Die Schwarzmarktware ist häufig verunreinigt und schafft zusätzliche Gesundheitsgefahren", sagte Lauterbach.
Im Verein oder unter Aufsicht
Gemeinsam mit Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) legte Lauterbach den Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. Der Genuss von Cannabis wird demnach nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Die Obergrenze liegt bei 25 Gramm. Der Anbau kann privat oder in eigenen Vereinen erfolgen, Kiffen im Club sozusagen. Wichtig dabei: Das Ganze ist nicht gewinnorientiert.
In einem Feldversuch unter Aufsicht soll zudem ermittelt werden, wie sich der gewerbsmäßige Anbau und die Abgabe über spezielle Cannabis-Shops auf Gesundheit und Drogenkonsum auswirken. "Der Konsum von Cannabis ist eine gesellschaftliche Realität. Eine jahrzehntelange Verbotspolitik hat davor die Augen verschlossen und damit vor allem Probleme verursacht", sagte Agrarminister Özdemir. Er hatte vor Jahren Ärger, weil er – versehentlich – auf seiner Berliner Dachterrasse vor einer Cannabis-Pflanze posierte.
Cannabis darf in Deutschland seit 2017 angebaut werden. Aber nur zu medizinischen Zwecken. Eigentlich hatte sich die Ampelkoalition auf eine weitreichende Legalisierung verständigt. Mehr aber verhindert die EU. Das Europarecht verbietet den Anbau von Drogen. Auch die FDP ist bei der Initiative an Bord. Sie will nicht nur in der jungen Wählerschaft punkten. Der Anbau ist auch ein lukratives Geschäft. Längst sind internationale Unternehmen aktiv – vor allem aus Kanada und den USA.
Hollands Lückenschluss
Deutschland versucht mit Blick auf die Niederlande, manchen Fehler zu vermeiden. Dort ist der Genuss von Cannabis seit 1977 straffrei. Allerdings mit einer beträchtlichen Lücke. Niemand kontrolliert, woher das Gras kommt, das in den Coffeeshops verkauft wird. So geht legal über die Theke, was aus illegalem Anbau stammt. Deshalb startet das Land einen Pilotversuch. In Städten wie Tilburg oder Breda wird ab Spätsommer Cannabis aus kontrolliertem Anbau angeboten. Betreutes Kiffen sozusagen.
Vom "Schließen des Coffeeshops-Kreislaufs" sprach der niederländische Gesundheitsminister Ernst Kuipers von der linksliberalen Partei D66 zuletzt. Von einem "kleinen Schritt" sprach Kuipers. Andere sehen in dem Test einen großen Fortschritt. Bereits 2017 wurde der Pilotversuch vereinbart. Und der Start danach mehrmals verschoben. Die Kritik an den Verzögerungen war heftig. "Das niederländische System ist halbherzig und scheinheilig", ließ Bredas Bürgermeister Paul Depla schon vor längerer Zeit wissen und schob hinterher: "Wir legen Kriminellen den roten Teppich aus."
1,2 Milliarden Euro – nur in Holland
Nun wird der Anbau legalisiert. Und kommerzialisiert. Die Unternehmen für das Wietexperiment wurden per Los ausgewählt. Das Geschäft ist lukrativ. Auf rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr wird der Cannabis-Markt in den Niederlanden geschätzt – für therapeutische Zwecke inklusive. Vom Geschäftseifer ließ Minister Kuipers aber nichts erkennen. Es sei "wichtig, dass die Quantität, Qualität und Vielfalt von Cannabis und Hasch zufriedenstellend sind", ließ er sachlich wissen. Das Sachliche liegt ihm. Kuipers ist Mediziner. Wie Lauterbach.
Das derzeitige "System ist schlecht für das Gesundheitssystem, weil es kaum Kontrolle über die angebotenen Produkte gibt", so Bredas Bürgermeister Depla. Er schielt schon leicht neidisch zum östlichen Nachbarn. "Wir müssen echt Dampf machen", mahnte er zur Eile beim Pilotversuch. "Sonst ist uns Deutschland voraus."
Peter Riesbeck (Berlin)