Nach dem Tod eines 26-jährigen Joggers, der am Mittwoch von einem Bären in den Wäldern im norditalienischen Trentino angegriffen und tödlich verletzt worden ist, soll das Raubtier getötet werden. Die Trentiner Landesregierung erteilte die Anordnung, den Bären zu erlegen, der jetzt aufgrund der hinterlassenen Spuren an der Leiche gesucht werden soll.
Die Familie des Opfers will inzwischen vor Gericht ziehen. Medieninformationen zufolge wollen die Angehörigen sowohl die autonome Provinz Trient als auch den italienischen Staat wegen der Rückführung von Bären in das Gebiet anzeigen. Im Visier steht demnach die Art und Weise der Durchführung des von der EU geförderten Projekts "Life Ursus", mit dem Bären aus Slowenien im Trentino angesiedelt wurden. Die Maßnahme sei ohne Referendum unter der Bevölkerung umgesetzt worden.
Zehn Bären angesiedelt
Das Wiederansiedlungsprojekt "Life Ursus" hatte im Jahr 1999 mit Unterstützung der Europäischen Union begonnen. Zehn Bären aus Slowenien wurden in die Region Trentino überführt. Die Braunbären im Trentino vermehrten sich und haben in den vergangenen Monaten mehrere Tiere gerissen. Die autonome Provinz Trient forderte mehr Freiheit bei Fang und Tötung gefährlicher Exemplare.
Unter Tierschützern werden derzeit Proteste gegen die Anordnung der Trentiner Landesregierung laut, den für den Angriff verantwortlichen Bären zu töten. Tierschützer warnten vor der Gefahr einer "Hexenjagd" gegen die Bären, was nur die Angst unter der Lokalbevölkerung und den Touristen nähren würde.
Der Jogger war am Donnerstag leblos in einem Waldstück oberhalb der Gemeinde Caldes im Trentino aufgefunden worden. Eine Autopsie ergab, dass der 26-Jährige infolge eines Bärenengriffs gestorben war.
Die Region Trentino überwacht den lokalen Bärenbestand bereits seit 50 Jahren, das Raubtier ist dort nicht neu. Aber es werden immer mehr: Zwischen 2015 und 2021 wuchs die Bärenpopulation stetig um durchschnittlich 10,3 Prozent pro Jahr. Während 2002 noch weniger als fünf Bärenjunge geboren wurden, waren es 2020 mehr als 20. Im Folgejahr an die 14. Die Trentiner Bären bleiben allerdings nicht immer in Italien – gelegentlich verirren sie sich sogar nach Österreich. Besonders junge Bärenmännchen wandern oft über sehr weite Distanzen.
Derzeit leben in der Region Trentino 90 Bären. In den letzten 20 Jahren gab es in der Region 19 Problembären, der Rest verhielt sich unauffällig.
Nahrung lockt die Bären in Menschennähe
Nicht nur in Italien gibt es Bären, sondern auch in Slowenien, der Schweiz und der Slowakei. Menschen aus der Slowakei erzählen, dass die Bären in manchen Regionen mittlerweile regelmäßig in Menschennähe kommen. Man sehe sie dann z. B. durch die Gärten von Einfamilienhäusern streifen, wo sie nach Nahrung suchen. "Das Zusammenleben mit großen Tieren in der Kulturlandschaft ist immer ein Thema, denn der Bär ist ein großes, starkes Tier, das den Menschen korrumpieren kann. Wenn er Nahrungsquellen in der Nähe entdeckt, kann er sich an die Menschennähe gewöhnen", sagt der Wildtierökologe Georg Rauer, der sich in seiner Forschungskarriere intensiv mit dem Bären befasste.
In der Slowakei hat sich der Bärenbestand in den letzten 20 Jahren verdreifacht. 2021 wurde ein slowenischer Waldarbeiter durch eine Bärenattacke getötet. Letztes Jahr wurde dort ein Tourist von einem Bären schwer verletzt. Aber es regt sich Widerstand: Viele Menschen in den slowakischen Bärengebieten fordern eine stärkere Regulierung des Bärenbestandes, damit sie wieder mehr Ruhe haben.
Auf der Suche nach Rückzugsräumen
Bärenangriffe, wie der aktuelle Fall in Caldes, seien laut dem Bärenexperten Rauer aber nicht alltäglich. "Das sind außergewöhnliche Situationen, wo mehrere Faktoren zusammenspielen. Etwa ein überraschendes Zusammentreffen zwischen Bär und Mensch auf kurze Distanz. Gefährlich kann es auch werden, wenn man in eine Bärenfamilie hineingerät – zwischen die Mutter und ihre Jungen", sagt er. Außerdem sei es auch vom Tier abhängig: "Jeder Bär hat eine andere Geschichte. Es hängt vom jeweiligen Bären ab, mit dem man es zu tun hat, und vom Verhalten des Menschen, etwa ob er einen Hund dabeihat."
Auch in Slowenien fühlt sich der Braunbär wohl. Das Land hat einen im europäischen Vergleich hohen Bärenbestand, der stetig wächst. Bis zu 1000 Bären gibt es nach Schätzungen des slowenischen Umweltamtes. Mehr als 60 Prozent des Landes sind bewaldet, das gefällt dem Tier: "Der Bär braucht Nahrung und Rückzugsraum. In deckungsreicheren Gebieten fühlt er sich wohl. Er hat eine reiche Palette an pflanzlicher und tierischer Kost, frisst Obst, Samen, Aas und Insekten", erklärt Rauer. Ab und an würden Bären auch Wild jagen, insgesamt überwiege aber die pflanzliche Kost. Die Bärenpopulation wird in Slowenien regelmäßig kontrolliert. Einmal im Jahr wird eine gewisse Anzahl an Bären entnommen.
Laut der "Initiative für große Karnivoren in Europa" (LCIE) sind die meisten europäischen Bärenpopulationen stabil. Die skandinavische Bärenpopulation ist sogar rückläufig. Ausgerechnet in unseren Nachbarländern steigt sie aber – in den Dinarischen Alpen (Slowenien) und in den Alpen (Slowenien, Italien, Schweiz).
Jana Unterrainer/APA