Sieben Menschen tötete ein Amokläufer in einer Hamburger Glaubensgemeinde der Zeugen Jehovas, bevor er sich selbst erschoss. Die Polizei gab bei einer Pressekonferenz nun Einzelheiten zum Tathergang und den Opfern bekannt. Innensenator Andy Grote sprach von "der schlimmsten Straftat in der jüngsten Geschichte unserer Stadt".

Der SPD-Politiker schilderte, wie die Polizei am Tatort Täter und Opfer voneinander getrennt haben soll. Die Einsatzkräfte hätten den Angreifer so an weiteren Tötungsdelikten gehindert. Ein ungeborenes Kind wurde im Leib der Mutter getötet. Der Täter sei bei dem Eintreffen ins Obergeschoss geflüchtet. Dort habe er sich selbst gerichtet.

Video: Pressesprecher der Hamburger Polizei

Während einer Veranstaltung im "Königreichssaal", dem Gebetsraum der Gemeinde, waren am Donnerstagabend Schüsse gefallen. Der Mann soll sich gewaltsam Zutritt zu dem Gebäude der Religionsgemeinschaft verschafft haben, in dem ein Gottesdienst mit bis zu 50 Teilnehmern abgehalten wurde. In drei Tranchen sollen jeweils mehrere Schüsse abgegeben worden sein.

Bei den Todesopfern habe es sich um zwei Frauen und vier Männer zwischen 33 und 66 sowie einen weiblichen Fötus "im Alter von 28 Wochen" gehandelt, sagte Thomass Radszuweit, der Leiter des Staatsschutzes.

Der "Spiegel" berichtete, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um ein ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas handeln soll. Weiter berichtete das Magazin von einer Pistole als Tatwaffe. Die Polizei konnte Freitagfrüh dazu jedoch keine Angaben machen – weder zu dem mutmaßlichen Täter oder zum genauen Tathergang.

Zur Zahl der Toten äußerte sich zunächst weder die Polizei noch die Hamburger Innenbehörde. "Es ist nach ersten Erkenntnissen so, dass mehrere Tote unter den Opfern zu beklagen sind", sagte ein Polizeisprecher dazu. "Die Toten haben alle Schussverletzungen", hieß es. Unter den Toten soll möglicherweise auch der Täter sein: "Es gibt Hinweise darauf, dass es der Täter sein könnte. Aber ob es wirklich der Täter gewesen ist, das ist noch unklar."

Pressekonferenz um 12 Uhr

Die Hamburger Innenbehörde, die Staatsanwaltschaft und die Polizei wollten am Freitagmittag mehr Details bekannt geben. Eine Pressekonferenz war für 12.00 Uhr im Polizeipräsidium geplant. Darin werden voraussichtlich der Innensenator Andy Grote, ein Vertreter der Hamburger Staatsanwaltschaft, der Polizeipräsident Ralf Martin Meyer sowie der Leiter der Schutzpolizei, Matthias Tresp, sprechen.

Welche Art von Veranstaltung in der Kirchengemeinde der Zeugen Jehovas abgehalten wurde, war zunächst unklar. Auf der Internetseite der Zeugen Jehovas war für den Donnerstagabend eine von zwei wöchentlichen Zusammenkünften angekündigt. Dazu ist den Informationen zufolge auch die Öffentlichkeit eingeladen. Bei den Zusammenkünften befasst man sich demzufolge mit der Bibel und damit, wie ihre Lehre im Leben berücksichtigt werden kann. Polizeiangaben zufolge hatten mehrere Menschen die Veranstaltung besucht.

Die Zeugen Jehovas zeigten sich "tief betroffen". "Unser tiefes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen. Die Seelsorger der örtlichen Gemeinde tun ihr Bestes, ihnen in dieser schweren Stunde Beistand zu leisten", hieß es in einem Statement auf der Website der Gemeinschaft.

Die Zeugen Jehovas sind eine christliche Gemeinschaft mit eigener Bibel-Auslegung. Die Anhänger glauben an Jehova als "allmächtigen Gott und Schöpfer" und sollen sich strengen Vorschriften unterwerfen. Sie sind davon überzeugt, dass eine neue Welt bevorsteht und sie als auserwählte Gemeinde gerettet werden. Weltweit haben die Zeugen Jehovas etwa acht Millionen Mitglieder. Die "Weltzentrale" ist in New York. Die deutsche Gemeinschaft mit weniger als 200.000 Mitgliedern gehört zu den größten in Europa. In Österreich gibt es laut ihrer Homepage etwas über 22.000 aktive Zeugen Jehovas.

Tatort wurde weiträumig abgesperrt

Bei dem Tatort handelt es sich um ein dreistöckiges Gewerbegebäude, das an einer breiten Straße und neben einem Malerbetrieb sowie einer Baustelle mit drei großen Kränen liegt. Am frühen Morgen sicherte die Polizei noch weiter Spuren. An der Außenseite des Gebäudes haben die Ermittler noch in der Nacht zahlreiche kleine Nummerntafeln aufgestellt, um Spuren der Gewalttat zu markieren. Am Morgen war auch ein 3D-Scanner im Einsatz, um den Tatablauf zu dokumentieren. Der Eingang zu dem Gebäude der Zeugen Jehovas war am Morgen mit einem Sichtschutz abgedeckt.

Ein erster Leichenwagen war gegen 8.00 Uhr am Tatort vorgefahren. Gegen 6.00 Uhr wurde der Verkehr auf der viel befahrenen Straße Deelböge wieder freigegeben.

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zeigte sich bestürzt über die Schüsse während einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas. "Die Meldungen aus Alsterdorf/Groß Borstel sind erschütternd", schrieb Tschentscher bei Twitter. "Den Angehörigen der Opfer gilt mein tiefes Mitgefühl. Die Einsatzkräfte arbeiten mit Hochdruck an der Verfolgung der Täter und der Aufklärung der Hintergründe." Tschentscher rief die Bürgerinnen und Bürger auf, die Hinweise der Polizei zu beachten.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die tödlichen Schüsse als brutale Gewalttat. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson zeigte sich entsetzt. Sie sprach Freitagfrüh auf Twitter von einer "schockierenden Tat".