Auf der Erde tat sich angesichts des Ukraine-Krieges ein tiefer Riss zwischen dem Aggressor Russland und dem Westen auf, in der Raumfahrt funktioniert das Miteinander noch: Als Ersatz für eine beschädigte Raumfähre an der Internationalen Raumstation ist nun eine unbemannte Sojus-Kapsel zur ISS gestartet. Die Sojus MS-23 hob am Freitag vom russischen Kosmodrom Baikonur in Kasachstan ab, wie Livebilder der US-Raumfahrtbehörde Nasa zeigten. Mit rund 430 Kilogramm Ladung für die Besatzung an Bord, darunter medizinische Geräte und Ausrüstung für wissenschaftliche Experimente, soll die Kapsel am Sonntag um 2.01 Uhr MEZ an der ISS andocken.
Mikrometeorit schlug offenbar ein
Die ungewöhnliche Mission war nötig geworden, weil die an der ISS angedockte Fähre MS-22 ein Leck hat – wohl verursacht von einem Mikrometeoriten. Die austretende Flüssigkeit am Kühlsystem ließ die Rückkehr von zwei Russen und einem US-Amerikaner riskant erscheinen. Plan ist nun, dass die Kosmonauten Sergej Prokopjew und Dmitri Petelin sowie Nasa-Astronaut Frank Rubio, die im September mit der MS-22 zur ISS gekommen waren, voraussichtlich im Herbst mit der MS-23 zur Erde zurückkehren sollen – anstelle von März, wie ursprünglich geplant war. Die beschädigte Kapsel MS-22 wiederum könnte in der Zwischenzeit unbemannt von der ISS zurückfliegen.
Von einer "Rettungsmission" wollte der deutsche Raumfahrer Reinhold Ewald (66) nicht sprechen. "Die Crew ist ja nicht irgendwo gestrandet. Selbst beim Ausfall vieler Systeme gibt es bei der Sojus Mittel und Wege, die Kapsel nach Hause zu steuern", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Gewissermaßen seien die Probleme auf der Erde größer als im All. "Für die russische Raumfahrt ist das ein großer Aufwand. Die Sojus, die unbemannt hochgeschickt wird, war ja für eine Besatzung gedacht. Das ist jetzt schon eine erhebliche Störung der Reihenfolge. Russland produziert die nicht auf Vorrat."
Bei der Raumstation rund 400 Kilometer über der Erde arbeiten Russland und die USA zwar seit mehr als 20 Jahren eng zusammen, das Verhältnis war wegen des russischen Einmarschs in die Ukraine vor genau einem Jahr in eine schwere Krise geraten. Im Weltall kooperieren beide Länder aber nach wie vor.
Raumfahrer Ewald, der Anfang 1997 mit einer Sojus-Kapsel zur russischen Raumstation "Mir" geflogen war und dort drei Wochen lang geforscht hatte, wies auf die trotz des Ukraine-Kriegs pragmatisch weiterlaufende Zusammenarbeit zwischen Nasa und Roskosmos hin: "Die Lage ist schlimm genug. Das ist vielleicht ein Hoffnungsschimmer, dass man sich wieder annähert."
Materialermüdung der ISS geht weiter
An einen baldigen Ausstieg Russlands aus dem ISS-Programm glaubt er nicht. "Moskau hat erst vor Kurzem ein Wissenschaftsmodul hochgeschickt. Ich denke, dass Russland seine Investition in die Station so lange wie möglich nutzen wird." Technisch kämpfe die ISS mit "erwartbaren Problemen", meinte Ewald. "Die Materialermüdung kann nicht so einfach gestoppt werden." Der wissenschaftlich-technische Rat der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos hatte der Staatsagentur Tass zufolge vor wenigen Tagen "nach eingehenden Beratungen" beschlossen, das russische Segment der ISS bis 2028 weiterzunutzen.
Neben Prokopjew, Petelin und Rubio sind derzeit auch noch Nicole Mann, Josh Cassada, Koichi Wakata und Anna Kikina – die sogenannte "Crew-5" – an Bord der ISS. Kommende Woche wird zusätzlich die "Crew-6" erwartet – die US-Amerikaner Stephen Bowen, Warren Hoburg, der Russe Andrej Fedjajew und der Emirati Sultan al-Nijadi. Wenige Tage nach ihrer Ankunft mit einem "Crew Dragon" der privaten Raumfahrtfirma SpaceX von Elon Musk soll die "Crew-5" dann zur Erde zurückkehren.