Das türkisch-syrische Grenzgebiet wurde Montagfrüh von einer Erdbebenkatastrophe erschüttert: Dem ersten Beben mit einer Magnitude von 7,7 folgten unzählige weitere – eines davon hatte eine Stärke von 7,5.
"Es sind fast alle drei Stunden kleinere Nachbeben. Das ist deshalb problematisch, weil die noch stehenden Gebäude sehr instabil sind. Manche stehen 45 Grad schief", schildert Oberstleutnant Pierre Kugelweis der Kleinen Zeitung am Telefon. Der Steirer begleitet als Presseoffizier das rund 80 Personen starke Kontingent des Bundesheeres im Hilfseinsatz in der Stadt Antakya. Dort konnte eines der drei Rette- und Bergetrupps am Mittwoch einen Mann lebend aus den Trümmern retten. "Um ihn aus dem Betonloch zu befreien, musste unser Arzt ihm aber den Arm amputieren", schildert Kugelweis. Dabei seien die österreichischen Militärmediziner und -sanitäter eigentlich nur zur Versorgung der Angehörigen des eigenen Kontingents vorgesehen.
Lokale Helfer hatten die Österreicher auf Klopfgeräusche unter den Trümmern eines eingestürzten Hauses aufmerksam gemacht. Der Mann war mit seiner Familie verschüttet worden. Weitere Überlebende wurden offenbar nicht gefunden.
Das Österreichische Bundesheer war Dienstagfrüh mit einem Vorkommando in die Krisenregion aufgebrochen, wie Hauptmann Marcel-Philipp Taschwer von der Heeres-Presseabteilung gegenüber der Kleinen Zeitung erklärte.
Erste Stunden entscheidend
Von Wien-Schwechat ging es für die Katastrophenhilfeeinheit "Austrian Forces Disaster Relief Unit" (AFDRU) zum Flughafen Adana Şakirpaşa. "Entscheidend sind die ersten 100 Stunden – es gibt nach wie vor Wunder. In der Erstphase zählt jede Minute, aber natürlich ist es ein Wettlauf gegen die Zeit", betont Taschwer. Die Zusammenarbeit mit türkischen Rettungskräften und anderen internationalen Helfern funktioniere jedenfalls gut.
Wie Kugelweis vor Ort berichtet, sind viele Straßen kaum befahrbar sind, unzählige Gebäude sind eingestürzt. "Immer wieder gibt es Brände in den Ruinen. Manche werden auch dadurch ausgelöst, weil sich die Menschen mit einem Feuer wärmen wollen", berichet der Steirer. Am Tag sei es zwar recht sonnig gewesen, in der Nacht werde es aber bitterkalt.
"Wir sehen immer wieder, wie Leichen geborgen werden. Das machen aber nicht wir. Unsere Aufgabe ist Leben zu retten", so Kugelweis. Die Eindrücke seien sehr bedrückend. "Falls es jemanden zu viel wird, haben wir auch Psychologen dabei".
Schweres Gerät im Einsatz
Der Hilfseinsatz der Österreicher ist sehr rasch angelaufen. Nach einer Koordinierung vor Ort begannen heute Vormittag die ersten zwei Trupps aus Österreich mit der Suche: "Ein Rettungs- und Bergeelement setzt sich aus bis zu 16 Personen zusammen", erklärt Taschwer. "Diese Gruppen suchen mittlerweile an zwei verschiedenen Orten nach Verschütteten. Am Dienstag erfolgte auch der erste Materialtransport in die Krisenregion, eine Iljuschin Il-76 (eine vom Bundesheer angemietete zivile Transportmaschine, Anmerkung) brachte 25 Tonnen Gerätschaft in das Katastrophengebiet." Gebraucht werden Spreiz- und Schneidgeräte, aber auch Stromaggregate – wichtig ist aber die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten. Die Einsatzkräfte des Bundesheeres können vor Ort autark agieren.
Drei Teams in schwierigem Einsatz
Die 81 Soldaten und vier Soldatinnen der AFDRU sollen suchen, bergen und auf vielfältige andere Art helfen. Auch ein Notarztwagen wurde in das Erdbebengebiet verlegt, am Donnerstag wird von Wien-Schwechat noch mehr Material dorthin geflogen. Derzeit ist der physisch und psychisch extrem fordernde Einsatz für zehn Tage anberaumt: "Zwei Teams sind ständig im Einsatz, ein drittes steigt in dieses Rad ein, um einem Team eine Ruhephase zu verschaffen." Am Mittwochvormittag wurde in der türkischen Stadt Antakya in der Region von Hatay das Basislager aus Zelten errichtet, damit die Kräfte aus Österreich nicht in Gebäuden ruhen (müssen), was weiterhin akut lebensgefährlich ist.
Massiv erschwerend sind derzeit die Witterungsverhältnisse: Vor Ort hat es Minusgrade, prognostiziert wurden auch Schneestürme. Am Flughafen Adana Şakirpaşa ist die bestmögliche Koordinierung der internationalen Hilfskräfte ein Thema – damit "man sich nicht gegenseitig auf die Füße steigt", wie Taschwer anmerkt. Die AFDRU trainiert fortlaufend, in jedem der drei 16-köpfigen Trupps vor Ort gibt es einen Notarzt, einen Notfallsanitäter, zwei Rettungshunde, die restlichen zwölf Kräfte sind eigens auf Rettung und Bergung spezialisiert. Kommandant der Einheit ist Major Bernhard Lindenberg vom ABC-Abwehrzentrum in Korneuburg. Unter seiner Führung sind nicht zuletzt auch Statiker, Vermesser und Dolmetscher des Bundesheeres im Einsatz.