Sie haben dieses Mal ihre Hymne gesungen – die Spieler der iranischen Fußballnationalmannschaft. Beim ersten Spiel hatten die Sportler – aus Protest gegen das brutale Mullah-Regime im Iran und aus Solidarität mit Zehntausenden mutigen Protestierenden – noch geschwiegen. Beobachter gehen von Einschüchterungstaktiken seitens der Islamischen Republik aus. Und während die iranische Fußballnationalmannschaft nun gute Miene zum bösen Spiel machte und ihren Sieg beim zweiten Gruppenspiel bei der WM bejubelt, wurden in der Heimat zur selben Zeit friedliche Proteste blutig niedergeschlagen.
Wie jeden Freitag wurde auch heute wieder in vielen Städten des Landes demonstriert. Videos aus dem südöstlichen Zahedan sollen nun zeigen, wie die Revolutionsgarde des Regimes das Feuer auf eine Versammlung von Menschen eröffnet. Menschen werden aus Häusern gezerrt, Verwundete weggetragen. Erst vor wenigen Wochen wurden in der Stadt – ebenfalls an einem Freitag – 90 Menschen bei Protesten getötet.
Zwar wurde die iranische Nationalmannschaft für ihren stillen Protest international gelobt, vielen Systemkritikern war diese Regimekritik jedoch zu wenig. Viele Anhänger der Protestbewegung haben das Team in den vergangenen Wochen scharf kritisiert. Vor allem ein Foto mit Präsident Ebrahim Raisi in ausgelassener Stimmung hatte kurz vor Abflug für Empörung gesorgt. Zu spät und zu klein sei die Aktion dann auf dem Spielfeld gewesen, bemängelten die Kritiker.
445 Demonstranten bisher getötet
Bei den Massenprotesten im Iran sind nach Einschätzungen von Menschenrechtlern bisher mindestens 445 Demonstranten getötet worden. Unter den Toten seien auch 63 Kinder, berichtete die Organisation Human Rights Activists News Agency (Hrana) mit Sitz in den USA am Freitag. Mehr als 18.000 Menschen seien zudem festgenommen worden. Die Proteste erfassten seit ihrem Beginn Mitte September demnach mehr als 150 Städte im Land.
Die Organisation verzeichnete außerdem den Tod von 57 Sicherheitskräften. Auslöser des Aufbegehrens gegen die politische Führung im Iran war der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Mahsa Amini. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie die Zwangsvorschriften für das Tragen eines Kopftuchs nicht eingehalten haben soll. Die Frau starb am 16. September in Polizeigewahrsam. Seit ihrem Tod demonstrieren landesweit Zehntausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem.