Das periodisch wiederkehrende Hochwasser ist für die Lagunenstadt Venedig kaum mehr ein Problem. Denn zu Wochenbeginn hat der Schutzwall, das Projekt Mose (Modulo Sperimentale Elettromeccanico), die erste größere Nagelprobe bestanden. Das nach 20 Jahren Bauzeit kürzlich fertiggestellte Schleusensystem schützt Venedig künftig vor großen Überschwemmungen. Es bestand den Stresstest am Dienstag, heftige Regenstürme hatten für Hochwasser gesorgt, doch die um den Markusdom errichtete Glasbarriere fuhr hoch und hielt stand.
Aber nicht nur das Fünf-Milliarden-Euro-Projekt Mose ist ein Rettungsanker für die Lagunenstadt. Nach der Covid-Krise floriert auch der Tourismus wieder. Von der am 27. November zu Ende gehenden Kunstausstellung Biennale werden Rekord-Besucherzahlen gemeldet. An der Rialtobrücke, am Markusplatz bis zum Arsenale, dem Standort der Biennale, gibt es nur Gedränge. Ein Durchkommen an diesen Plätzen ist schwierig. Im Kaffee Florian oder im Restaurant Ai Do Leoni ist ohne Vorbestellungen kein Platz zu finden. Ganz zu schweigen von der Harry's Bar, in der Calle Vallaresso. Und das in der sogenannten Nebensaison im November. Unterkünfte in der Stadt sind allenfalls zu exorbitanten Preisen zu bekommen. Nur am Lido oder auf dem Festland, in Mestre, sieht es etwas besser aus.
Venedig leidet an der Energiekrise. Eigentlich könnten sich Kaffeehäuser und Hotels über den Tourismus-Boom freuen. Trotz der hier überdurchschnittlich hohen Preise verringern sich die Gewinne. Denn die bis zu vierfach gestiegenen Stromkosten schmälern den Ertrag. Für die Venezianer ist es inzwischen so gut wie unmöglich, in der Stadt zu überleben. Die Anzahl der Bewohner Venedigs hat sich von 150.000 auf inzwischen nur mehr 50.000 verringert. Ein Großteil der Einwohner ist in die Umgebung geflüchtet. Etwa nach Mestre, auf die Inseln. Aber auch dort herrscht Krise.
Kann Venedigs Handwerk und Industrie noch überleben?
In Murano etwa. Seit Jahrhunderten wird in den Öfen von Murano Glas gebrannt. Doch inzwischen haben zahlreiche dort ansässige Glasbrenner geschlossen. Nach dem Hochwasser 2019 und der Pandemie haben die Methangas-Preise zahlreiche Unternehmen an den Rand des Ruins gebracht. Die inzwischen vom Staat versprochene Hilfe dürfte nicht ausreichen, um das Schlimmste zu verhindern. "Paradox ist, dass die Arbeit wieder vorhanden ist, aber mit Rechnungen, die sich auf mehrere Zehntausend Euro pro Monat belaufen. Damit können wir nicht arbeiten", erklärt Andrea Della Valentina, Vorsitzender des Verbandes der Glasindustrie Confartigianato.
Die Murano-Glas-Krise betrifft etwa 60 Unternehmen und eine Lieferkette, an der rund Tausend Arbeitnehmer beteiligt sind. Bei der Glasherstellung handelt es sich nicht nur um die famosen Luster-Lampen, sondern auch um die einst florierende bunte Glasperlen-Industrie. Abgesehen von Murano ist auch die Insel Burano von der Krise betroffen. Denn das renommierte Handwerk von Spitzendeckchen und Tischwäsche auf Burano ist beinahe ausgestorben.
Thesy Kness-Bastaroli (Venedig)