Bei der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste im Iran nach dem Tod von Mahsa Amini sind nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten bisher mindestens 50 Menschen getötet worden. Zuletzt seien sechs Menschen am Donnerstagabend in Reswanschahr in der nordiranischen Provinz Gilan von Sicherheitskräften erschossen worden, teilte die Organisation Iran Human Rights (IHR) mit Sitz in Oslo am Freitag mit.
Der Iran signalisierte unterdessen Bereitschaft zum harten Durchgreifen gegen regierungskritische Demonstranten nach dem Tod einer jungen Frau. Die iranische Armee werde dem Feind die Stirn bieten, um für Sicherheit im Land zu sorgen, teilte die Armee am Freitag mit. Weil sie den Fall um die in Polizeigewahrsam verstorbene Iranerin Mahsa Amini als eine der Ersten bekannt gemacht hatte, ist die Journalistin Nilufar Hamedi in der iranischen Hauptstadt Teheran inhaftiert worden.
Neuerliche Verhaftungen
Am Donnerstag wurde die Journalistin der Reformzeitung "Shargh" verhaftet. Wie die Zeitung berichtete, wurden neben Hamedi auch zwei weitere Reporter, eine Fotografin und ein politischer Aktivist im Zusammenhang mit den Protesten verhaftet. Sie sollen sich im berüchtigten Ewin-Gefängnis in der Hauptstadt Teheran befinden.
Die Demonstrationen seien Teil der teuflischen Strategie des Feindes, um die Islamische Republik zu schwächen, erklärte die Armee. Für Freitag waren neue Proteste geplant.
Laut Staatsmedien: 35 Todesopfer
Bei den Protesten im Iran nach dem Tod einer jungen Frau sind laut Berichten iranischer Staatsmedien inzwischen 35 Menschen getötet worden. Bisher hatten die iranischen Behörden die Zahl der Toten offiziell mit 17 angegeben. "Die Zahl der Todesopfer bei den jüngsten Unruhen im Land ist auf 35 gestiegen", berichtete die mit dem Sportministerium verbundene Nachrichtenagentur Borna am Freitagabend unter Berufung auf das Staatsfernsehen.
Todesstrafe gefordert
Regierungstreue Demonstranten forderten am Freitag die Todesstrafe für die Verantwortlichen der Proteste der vergangenen Tage. "Angreifer des Korans müssen hingerichtet werden", rief die Menge bei einem Aufmarsch, über den im staatlichen Fernsehen berichtet wurde. Regimekritische Demonstranten, die nach dem Tod der jungen Frau seit einer Woche gegen die Staatsmacht protestieren, wurden als "Israels Soldaten" bezeichnet.
In der Hauptstadt Teheran demonstrierten am Freitag zahlreiche Menschen für das Tragen des Kopftuchs und folgten damit einem Aufruf der Behörden, wie die staatliche Nachrichtenagentur Irna berichtete. Bei den Gegenprotesten dankten die Teilnehmer den Sicherheitskräften und verurteilten Frauen, die ihre Kopftücher verbrannt hatten.
Auslöser der vorherigen Proteste ist der Tod der 22 Jahre alten Iranerin Amini. Sie wurde vor gut einer Woche von der Sittenpolizei wegen eines Verstoßes gegen die strenge islamische Kleiderordnung festgenommen. Was genau mit Amini nach ihrer Festnahme geschah, ist unklar. Jedenfalls fiel sie ins Koma und starb am Freitag in einem Krankenhaus. Kritiker werfen der Moralpolizei vor, Gewalt angewendet zu haben. Die Polizei weist die Vorwürfe zurück. Seitdem demonstrieren landesweit Tausende Menschen gegen den repressiven Kurs der Regierung.
Zahlreiche Verletzte
Die Proteste hatten ihren Ausgangspunkt im überwiegend kurdisch besiedelten Nordwesten des Landes, woher Amini stammt, und weiteten sich schnell auf andere Teile Irans, einschließlich der Hauptstadt, aus. Die kurdische Menschenrechtsgruppe Hengaw berichtete von 15 Toten und mehr als 700 Verletzten. In iranischen Medien war von 280 Festnahmen allein am Donnerstag die Rede.
Die iranische Regierung reagierte mit Internetsperren. Sie fürchtet offenbar, dass die Proteste die Ausmaße von 2019 erreichen könnten. Damals kamen 1.500 Menschen ums Leben, es waren die bisher schwersten seit der Gründung der Islamischen Republik 1979. Präsident Ebrahim Raisi erklärte am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, er habe Ermittlungen zu Mahsa Aminis Tod eingeleitet. Es herrsche Meinungsfreiheit im Land, die Verbreitung von Chaos könne aber nicht geduldet werden.
Deutschland fordert rasche Untersuchung
Die deutsche Regierung forderte am Freitag eine rasche Untersuchung des Falls. "Die Bundesregierung ist gleichermaßen bestürzt darüber, dass bei den landesweiten Protesten wegen des Todes von Frau Amini offenbar zahlreiche weitere Menschen ums Leben gekommen sind", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. "Wichtig ist nun eine rasche und umgehende Untersuchung des Todes von Mahsa Amini."