Im Zuge der Todesmeldung von Königin Elizabeth II. wird neben weltweiter Anteilnahme auch Kritik laut, dass die Monarchin es versäumt habe, die Kolonialzeit Großbritanniens aufzuarbeiten. Besonders auf sozialen Netzwerken wird die verstorbene Monarchin von Betroffenen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Aktivistinnen und Aktivisten dafür kritisiert, sich während ihrer Regentschaft nicht stärker vom Kolonialismus und den damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen distanziert zu haben.

Über den Zeitpunkt der Debatte so kurz nach dem Tod der Monarchin lässt sich freilich diskutieren. Dennoch ist die Debatte wichtig und die Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit längst überfällig, sagt Walter Sauer. Er ist Historiker und forscht unter anderem zu Kolonialismus und der Geschichte Afrikas am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichteder Universität Wien. Warum er die Fokussierung auf die Queen in der Debatte trotzdem nicht für zielführend hält und was Österreich beziehungsweise das Habsburger Reich mit alledem zu tun haben.

Die Queen wird aktuell ob ihres kolonialen Erbes kritisiert. Welche Rolle hat die Königin Ihrer Meinung nach in der Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit Großbritanniens gespielt?

WALTER SAUER: Die Queen hat nach außen hin keine profilierte Rolle in der Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte gespielt – im Übrigen auch nicht in der Auseinandersetzung mit Rassismus im Vereinigten Königreich. Die Kritik ist also definitiv berechtigt. Als problematisch empfinde ich aber die starke Personalisierung, dass man sich so stark auf die Person der Queen fokussiert. Dann wird das System dahinter nicht oder zumindest weniger gesehen. Mir kommt es so vor, als würde die Vergangenheitsbewältigung im Vereinigten Königreich in Bezug auf den Kolonialismus noch sehr am Anfang stehen. Da sind andere Länder schon weiter. Wie weit man das der Queen anlasten kann, ist natürlich wiederum die Frage.

Inwiefern?

Ihre Popularität speist sich unter anderem daraus, dass sie ja eigentlich nie wirklich etwas Politisches gesagt hat – auch nicht in dieser Frage (Anmerkung der Redaktion: Die Königin oder der König hat in der britischen Monarchie hauptsächlich zeremonielle Aufgaben und darf sich öffentlich nicht zur Politik äußern). Das kann man natürlich zu Recht kritisieren. Ich bin kein Zeithistoriker, aber es sollte auch berücksichtigt werden, dass man nicht weiß, ob sie möglicherweise intern und abseits der Öffentlichkeit etwas getan hat, um die Politik zu beeinflussen.

Sie sprechen von dem vermeintlichen Konflikt zwischen der Queen und Margaret Thatcher um deren Südafrika-Politik?

Genau. In den 1980er-Jahren hieß es, dass die Queen in Hinblick auf Südafrika anderer Meinung war als Margaret Thatcher, die damals ja sehr stark das Apartheid-Regime unterstützt und sich gegen Sanktionen ausgesprochen hat. Da habe die Queen der damaligen Premierministerin vorgeworfen, mit ihrer Südafrika-Politik den Zusammenhalt des Commonwealth zu gefährden. Das war damals in den Zeitungen zu lesen – ob die Queen das wirklich gesagt hat, ist die Frage.

Kritikerinnen und Kritiker sagen, dass die Queen in der medialen Berichterstattung glorifiziert werde. 

Bei aller Pietät, wäre eine kritischere Auseinandersetzung mit ihrer Person angebracht. Jede Persönlichkeit in einer wichtigen öffentlichen Funktion muss das aushalten, dass man sich kritisch mit ihr auseinandersetzt – selbstverständlich pietätvoll und unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte, eh klar. Dass das geht, hat man ja unlängst beim Tod von Michail Gorbatschow gesehen. Das war auch viel in den Medien, er wurde teilweise glorifiziert, aber auch kritisch gesehen – das war eher differenziert.

Warum wird die Queen Ihrer Ansicht nach in Österreich eigentlich so gehypt?

Wir haben in Österreich unter anderem eine geringe republikanische Identität und in nicht so kleinen Bevölkerungskreisen gibt es eine latent monarchistische Neigung. Wir sollten bewusst wieder die Entscheidung für Republik statt Monarchie treffen. Dann würde sich die Frage auch erübrigen, ob wir jetzt kritisch gegenüber der Queen sein können – als Republikaner dürfen wir kritisch gegenüber aller Könige und Königinnen sein.

Walter Sauer ist Dozent am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien
Walter Sauer ist Dozent am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien © Lydia Williams

Charles III. wird nun das Oberhaupt des Commonwealth, ein Verbund aus Ländern, die in der Vergangenheit größtenteils unter britischer Herrschaft gestanden sind. Aus einigen dieser Länder wird die Forderung laut, die Monarchie abzuschaffen.

Grundsätzlich stellt sich in der heutigen Zeit natürlich die Frage, wie berechtigt eine Monarchie ist. Wenn man überall die Demokratie predigt – das heißt auch, das Staatsoberhaupt wählen zu können – dann ist erstens die Frage der Erblichkeit jeder Monarchie ein demokratiepolitisches Problem in meinen Augen, und damit verbunden ja auch die privilegierte Rolle einer bestimmten Familie mit riesigen Verwandtschaften. Verständlich, dass in manchen Ländern der Tod der Queen als Anlass genommen wird, um die Frage der Monarchie zu thematisieren. Die Kritik hat ja auch einen innenpolitischen Stellenwert, die Queen ist da wahrscheinlich mehr ein Symbol zu Fragen demokratiepolitischer Art, zu Gleichberechtigung und so weiter.

Sie haben angesprochen, dass die Vergangenheitsbewältigung in anderen Ländern schon weiter fortgeschritten ist als in Großbritannien. Das Habsburger Reich selbst war ja keine Kolonialmacht im eigentlichen Sinne, hat aber Kolonialpolitik betrieben. 

Kolonialismus war ja europaweit ein System. Manche Länder waren die für das Grobe, die haben Territorien erobert, sich angeeignet und ausgebeutet. Andere Länder waren hingegen für das Kleinere zuständig, zum Beispiel für die Logistik vor der Eroberung durch diese ganzen sogenannten 'Entdecker'. Da war die Habsburger Monarchie extrem stark engagiert. Man kann das jetzt natürlich nur spekulativ sagen, aber wäre es damals nicht zum Ersten Weltkrieg gekommen, hätte man sich sicher noch irgendwo eine Kolonie angeeignet. Das Habsburger Reich war auf dem besten Weg zu einer Kolonialmacht, nur eben ein bisschen spät.

Wie schätzen Sie die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit in Österreich ein? 

Bei uns in Österreich gibt es bisher zu wenig Bewusstseinsbildung. Österreich würde international sicherlich auch stärker kritisiert werden, wenn mehr Menschen wüssten, dass das Habsburger Reich damals im kolonialen Wettstreit mehr mitgemischt hat, als viele das denken. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns stärker mit der eigenen Kolonialgeschichte auseinandersetzen.