Nirgendwo in der Welt wäre ein Akt der Grablegung wie dieser denkbar gewesen. Als die Briten am Montag ihre tote Königin zu Grabe trugen, mobilisierten sie alles, was Staat, Kirche, Streitkräften und natürlich der Monarchie zur Verfügung steht.
Andächtig versammelt um den Sarg unter dem königlichen Banner und der imperialen Krone, nahmen König Charles III., die königliche Familie, der Hofstaat, kirchliche und weltliche Würdenträger, Monarchen, Präsidenten und Regierungschefs fast der ganzen Welt sowie 2000 andere geladene Gäste Abschied von der im Alter von 96 Jahren verstorbenen britischen Monarchin. Für diesen Abschied hatte man, mehr noch als für alle Anlässe zu Lebzeiten Elizabeths II., ein kolossales Spektakel inszeniert.
Amtsroben, Uniformen und Talare
Feierliche Hymnen, die ins hohe Gewölbe aufstiegen, gaben den Rahmen für den Gottesdienst in Westminster Abbey. Festliche Uniformen, Amtsroben und Ketten, rote Talare, Gewänder in allen Farben füllten die ernst gestimmte Abtei. Weiße Federhelme, goldene Wappen, Degen und jede Menge militärischer Orden hatten für die besondere Note, fürs angemessene Flair zu sorgen. Am Ende umfasste die Darbietung noch die zeremoniellen Posaunenstöße, die Nationalhymne und einen letzten Dudelsack-Gruß. Das Ganze lebte, in seiner betörenden Fülle, vom Glanz einer Jahrhunderte zurückreichenden Zeit. Nichts anderes habe die tote Monarchin auch verdient, machte Erzbischof Justin Welby deutlich: "Zu ihrem 21. Geburtstag hat Ihre verstorbene Majestät in einer Rundfunkansprache erklärt, sie wolle ihr ganzes Leben in den Dienst der Nation und des Commonwealth stellen. Selten ist ein Versprechen so gut gehalten worden, wie dieses."
Gerührt verneigten sich die vielen prominenten Gäste, unter ihnen US-Präsident Joe Biden und Kaiser Naruhito von Japan, vor der Monarchin. Der kleine Prinz George, der mit seiner Schwester Charlotte und seinen Eltern in der ersten Reihe saß, folgte dem Ablauf der Feiern gebannt und spielte gehorsam seine Rolle. George weiß, dass er nach Opa Charles und Papa William selbst einmal die Krone erben soll.
Schon mit der Prozession zur und von der Abtei, zu den dumpfen Trommelschlägen und den Ein-Minuten-Schlägen Big Bens, hatte man den Abschied von Elizabeth II. mit einer beispiellosen Zeremonie zu markieren gesucht. Auf der nur für diesen Zweck aufbewahrten Staatslafette mit den mächtigen Rädern, wurde der Sarg erst durch Westminster, dann die Mall entlang zum Buckingham-Palast und danach zum Wellington Arch, nach Hyde Park Corner, geführt.
Lafetten-Zug der Matrosen
138 Matrosen der Royal Navy – 98 vor und 40 hinterm Sarg – waren mit dieser Aufgabe betraut worden. Dass sie die Lafette zogen, und nicht andere Truppenangehörige, war übrigens reinem Zufall zu verdanken. Als sich 1901 die Lafette mit dem Sarg Königin Victorias nicht bewegen wollte, weil die von Victoria gewünschten acht „cremefarben-weißen Ponys“ nicht stark genug waren, um sie zu ziehen, befahl Prinz Louis Battenberg in aller Eile Kadetten der Royal Navy, den Job zu übernehmen. Seither ist der Lafetten-Zug der Matrosen Tradition.
Glücklicherweise lief beim Trauerzug für Elizabeth II. alles nach dem lang gehegten Plan. In der Vergangenheit waren königliche Bestattungszüge schon mal im Schlamm stecken geblieben, hier und da. Und beim Begräbnis George V. rollte das juwelenbestückte Malteserkreuz der Krone vom Sarg aufs Straßenpflaster. Wo es ein Offizier glücklicherweise erspähte und in Sicherheit brachte.
Am Montag ging dagegen soweit alles glatt. Herolde, Militärkapellen und ganze Truppenverbände, festlich gekleidet und die Arme in Respekt auf dem Rücken verschränkt, begleiteten den Pressions-Zug, der alles in allem eineinhalb Kilometer lang war. Hinterm Sarg her ging der neue König, Charles III., mit seinen Geschwistern und seinen beiden Söhnen. Die Prinzen Andrew und Harry mussten allerdings wieder in Zivil antreten, weil sie nicht mehr den „arbeitenden Royals“ zugehören im Windsor-Verband.
Ein bis zwei Millionen Zaungäste
Zwischen einer und zwei Millionen Menschen sollen tatsächlich am Montag in der britischen Hauptstadt auf den Beinen gewesen sein, um irgendwo an der Route einen Blick auf den Trauerzug zu werfen. Die großen Bahnhöfe, in die schon am Vortag viele Sonderzüge eingerollt waren, hatte man über Nacht durchgehend offen gehalten – schon weil es eine relativ kalte Nacht war an der Themse. Auch viele Gaststätten blieben offen, rund um die Uhr.
Wer sich nicht „an die Front“ wagte, oder mehr von den Ereignissen des Tages mitbekommen wollte, konnte Gottesdienste und Prozessionen unterdessen auch überall auf Bildschirmen verfolgen. In Parks, in Pubs und in Fußballstadien sammelten sich Tausende, um „mit dabei“ zu sein.
Über zwanzig Kathedralen im Lande öffneten ihre Portale, um Gläubige und Nichtgläubige zur großen Show unter ihren Kreuzgewölben einzuladen. Hunderte von Kinos setzten den Trauerzug ebenfalls aufs Programm. Die Tickets wurden in Rekordzeit aufgeschnappt.
Politiker wie der Stadtratschef Birminghams, Ian Ward, erklärten, viele seine Mitbürger hätten sich die Reise nach London nicht leisten können, hätten aber dennoch den Tag „gemeinsam“ verbringen wollen. Selbst ein Golfplatz stellte, „ohne etwas für den Besuch zu verlangen“, einen Mega-Bildschirm über seinen Golflöchern auf.
Neue Rekorde bei Fernsehübertragungen
Neue Rekorde glaubt man derweil auch bei den Fernsehübertragungen – praktisch auf allen großen britschen Kanälen – erzielt zu haben. Mehr als 35 Millionen Briten schalteten sich im Laufe des Tages offenbar zu. Weltweit sollen über vier Milliarden Menschen die Ereignisse in London verfolgt haben. Vom „Fernsehereignis des Jahrhunderts“ sprach man in den Studios der BBC.
Doch es gab nicht nur wohlwollende Wortmeldungen in den Medien zu hören. Dass man die königliche Familie in einer derart ungleichen Gesellschaft wie der britischen zum Symbol von Pflicht und Opferbereitschaft deklariere, sei doch schlicht „verlogen“, meinte empört der linke Labour-Abgeordnete Clive Lewis. Und Demonstranten gegen die Thronfolge zu verhaften, wie es mehrfach geschehen war, habe „mindestens so viel mit Zwang wie mit allgemeiner Zustimmung“ zu tun.
Allen Politikern ist bewusst, dass die Rückkehr zu „normalen Verhältnissen“ nach den letzten elf Tagen nicht einfach sein wird. Der zum nationalen Feiertag erklärte Begräbnis-Montag, an dem die meisten Betriebe geschlossen hatten, hat dem Land mitten in einer ernsten Wirtschaftskrise zusätzliche Probleme beschert und drängt es nun an den Rand einer Rezession.
Aber enthusiastische Royalisten wollten davon an diesem Tag nichts hören. Für sie war von Bedeutung nur der Abschied von Elizabeth II., das Geleit auf der letzten Etappe ihres Weges. Von Wellington Arch wurde der Sarg der Monarchin im Wagen nach Windsor gefahren, durch mehrere Londoner Stadtteile und eine Reihe kleiner Gemeinden im Westen der Stadt. Am sogenannten „Long Walk“ Windsors, der langen Auffahrt zum Schloss, standen noch einmal Tausende Spalier. Und in Windsor Castle selbst fand am Spätnachmittag ein weiterer, diesmal kleinerer Gottesdienst statt, in der St. George´s Kapelle, die über die Jahre zur letzten Ruhestätte mehrerer britischer Monarchen geworden ist.
Am Abend wurde der Sarg der Queen dann, in Anwesenheit ihrer Familie, nach der Entfernung des Zepters, des goldenen Reichsapfels und der imperialen Krone in die Gruft der King George VI. Memorial Chapel gesenkt.
Dort, neben ihrem im Vorjahr verstorbenen Gatten Philip und ihren Eltern, hat die Königin, die über siebzig Jahre lang Großbritanniens Staatsoberhaupt und eine Ikone ihres Landes war, das Ziel ihrer Reise erreicht, nach all den langen, turbulenten Jahren ihrer Ära. Und nach elf Tagen Trauer und Trauerfeiern ganz außergewöhnlicher Art.