Der Tod von Darja Dugina, Tochter des rechtsnationalistischen Ideologen Alexander Dugin, hat helles Entsetzen in Russland ausgelöst - vor allem bei den Kriegspropagandisten rund um Kreml-Chef Wladimir Putin. Das Fahrzeug mit der 29-Jährigen am Steuer ging in der Nähe von Moskau nach der Explosion einer Autobombe in Flammen auf.
Und obwohl die Ermittlungen wegen des mutmaßlichen Mordanschlags laufen und nichts bewiesen ist, beeilte sich die russische Staatspropaganda "ukrainischen Terroristen" das Attentat anzulasten. Der Anschlag soll demnach Dugin selbst gegolten haben.
"Ukrainer sind Unmenschen!"
Die USA, die Dugin auf ihrer Sanktionsliste haben, sehen den Ideologen als Ideenstifter des am 24. Februar von Putin befohlenen Einmarschs in die Ukraine. Der 60-Jährige hat, wie Journalisten in Kiew am Sonntag nach der Explosion berichteten, offen zur Tötung von Ukrainern aufgerufen. Und auch von seiner Tochter Darja ist dieser Satz überliefert: "Ukrainer sind Unmenschen!". Dugin, der viele Bücher geschrieben hat, gilt als antiwestlicher Hassprediger und Kämpfer für die Idee einer slawischen Supermacht.
In den sozialen Netzwerken machten Videos von dem brennenden Autowrack die Runde - und von einem erschütterten Dugin, der am Samstag zum Tatort eilte und, wie auf Fotos zu sehen ist, die Hände über den Kopf zusammenschlug. "Die Identität der Toten ist geklärt - es ist die Journalistin und Politologin Darja Dugina", hieß es in der Mitteilung des staatlichen Ermittlungskomitees. Die Fahnder veröffentlichten auch ein Video von der Spurensuche. Ermittelt werde wegen eines Auftragsmordes in verschiedene Richtungen.
Duginas Kollegin Margarita Simonjan, die Chefredakteurin des staatlichen russischen Fernsehsenders RT, verurteilte den Anschlag auf die "junge, kluge, schöne und unglaublich talentierte Frau". "Darja hätte einer jener Menschen werden können, die für Russland eine neue Volksideologie bilden." Simonjan rief auch nach Rache. "Die Entscheidungszentren!", schrieb sie gleich dreimal hintereinander im Nachrichtenkanal. Sie erinnerte damit an mehrfache Drohungen Moskaus, die Kommandozentralen in Kiew ins Visier zu nehmen.
Immer wieder hat Russland nach dem Beschuss auf seine Grenzregionen Kursk, Belgorod und Brjansk - angeblich von ukrainischer Seite aus - mit Gegenschlägen gedroht. Aber nach fast sechs Monaten Krieg gibt es viele Fragen an die Militärführung Moskaus. Vor allem auch nach den jüngsten Explosionen auf der von Russland 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim wundern sich politische Kommentatoren zunehmend, dass der Kreml nicht schärfer reagiert.
Ukraine-Krieg wieder ins Zentrum gerückt
Die Explosion einer Autobombe nahe Moskau bringt Russlands Krieg für die Hauptstädter, die das Blutvergießen im Nachbarland weitgehend ausblenden, nun wieder ganz nah. Schon im April soll der wegen seiner Kriegshetze mit Sanktionen belegte Fernsehpropagandist Wladimir Solowjow knapp einem Anschlag entgangen sein. Kreml-Chef Putin persönlich äußerte sich dazu. "Uns sind die Kuratoren der westlichen Geheimdienste namentlich bekannt, eine CIA-Gruppe in erster Linie, die mit den Sicherheitsorganen der Ukraine zusammenarbeitet und augenscheinlich solche Ratschläge gibt", sagte der Präsident.
Klar ist, dass die Explosion nichts ändert an der Lage in Russland. Aber Beobachter meinten am Sonntag, dass die Schockwelle der Autobombe zumindest die bequeme Welt der Propagandisten, die sich bisher in Sicherheit wähnten, erschüttert. Dass eine in der Öffentlichkeit stehende Befürworterin des Kriegs gegen die Ukraine nun auf russischen Gebiet in der Nähe von Moskau demonstrativ getötet wird, gilt als beispiellos.
Dugina sei eine "echte Patriotin" gewesen, trauerte der prominente Außenpolitiker und russische Verhandler im Konflikt mit der Ukraine, Leonid Sluzki, im Nachrichtenkanal Telegram. "Dieser barbarische Mord an Darja - das ist im Grunde ein Terroranschlag auf die Ideologie und das Verbindende der Russischen Welt." Die Schuldigen müssten mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden.
Russlands Inlandsgeheimdienst FSB berichtet fast täglich von Festnahmen mutmaßlicher Terroristen, die im ukrainischen Auftrag Anschläge geplant haben sollen. Immer wieder veröffentlichten die Agenten dazu auch nicht überprüfbare Fotos und Videos von selbst gebauten Sprengsätzen und Geständnissen der Verdächtigen.
Aus der Ukraine gab es zwar auch Drohungen, dass Partisanen Russland auf Jahre Probleme machen könnten mit Anschlägen. Hunderttausende Ukrainer aus dem Kriegsgebiet leben - oft ohne Alternative - inzwischen in Russland. Der Verdacht, dass über die Fluchtwege auch "Saboteure", wie Moskau sie nennt, einreisen, ist allgegenwärtig. Erst in der vergangenen Woche nahm der FSB einer Mitteilung zufolge nach der massiven Explosion auf der Krim mehrere "Saboteure" fest. Doch bestätigt sind die Angriffe von ukrainischer Seite nicht.
Ukraine dementiert Verantwortung für Anschlag
In Kiew betonte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak, dass die Ukraine mit dem Anschlag nichts zu tun habe. Im Fernsehen meinte er, dass Russland dieser Vorfall auch gelegen kommen könne, um eine Mobilmachung für den Krieg zu rechtfertigen. Außerdem kämpften in Russland inzwischen viele Gruppierungen untereinander um die ideologischen Positionen auf dem innenpolitischem Feld. Der Experte Ruslan Trad verbreitete bei Twitter die These, dass es sich bei dem Anschlag auch um einen Racheakt des FSB handeln könnte. "Besonders da Dugin, wie Gerüchte flüstern, Putin erzählt, dass der FSB die Schuld trägt an den schlechten Ergebnissen in der Ukraine."
Überzeugt sind jedenfalls viele, dass Alexander Dugin selbst das Ziel des Anschlags war. Russische Medien berichteten, er habe mit seiner Tochter am Samstag das patriotische Festival "Tradition" besucht. Dugin war dort als Redner angekündigt. Seine Tochter, die ihn begleitete, stellte das Auto auf einem Parkplatz für besonders wichtige Gäste ab. Die Bombe könnte dort eingebaut worden sein. Eine Videoüberwachung gab es wohl nicht. Medien zufolge hatten Vater und Tochter dann gemeinsam wegfahren wollen. Aber Dugin blieb noch.