Sechs Pylone ragen hoch über den noch unberührten Asphalt. Die Namensschilder an Kroatiens größter Meeresbrücke sind bereits montiert. Nur an den Zufahrtsstraßen zur neuen Pelješac-Brücke werden noch hektisch letzte Arbeiten verrichtet.
Die am 26. Juli eröffnete 2404 Meter lange Brücke vom kroatischen Festland auf die Pelješac-Halbinsel ist nicht nur für Reisende auf dem Weg nach Dubrovnik eine touristische Zeitenwende: Auch die Bewohner Südkroatiens können sich zeitraubende Grenzkontrollen bei der Fahrt durch Bosniens neun Kilometer breiten Meereszugang bei Neum künftig ersparen. Der in Kroatien gefertigte E-Flitzer des Elektromotor-Pioniers Mate Rimac konnte als Erstes die Brücke passieren, die Süddalmatien endlich mit dem Rest des Landes verbindet.
Die Umfahrung des Neum-Korridors plus gut 30 neue Autobahn-Kilometer hat nicht nur die Reisezeiten kräftig verkürzt, von der kostspieligen Meeresbrücke verspricht sich der Adria-Staat auch eine wirtschaftliche Neubelebung der Region Dubrovnik sowie der von Abwanderung geplagten süddalmatischen Inseln Korcula, Lastovo und Mljet.
Der Bau war kein leichtes Unterfangen. Wegen finanzieller Probleme, aber auch wegen Widerstände im benachbarten Bosnien und Herzegowina, das um seinen freien Meereszugang fürchtete, wurde die 2007 begonnenen Bauarbeiten an dem ersten Brückenprojekt erst verzögert – und 2010 endgültig gestoppt. Erst Kroatiens EU-Beitritt 2013 brachte wieder Bewegung in die Pläne.
EU-Außengrenze als Hindernis
Der Neum-Korridor mit dem zweimaligen Passieren einer EU-Außengrenze erwies sich als einer der größten Hindernisse für Kroatiens geplanten Beitritt zur Schengen-Zone. Alternative Optionen wie der Bau eines Meerestunnels, neue Fährdienste oder Überlegungen, einen exterritorialen EU-Korridor durch Bosnien anzulegen, wurden diskutiert, aber allesamt verworfen.
Stattdessen ließ Zagreb in Absprache mit Bosnien von dem slowenischen Ingenieur Marjan Pipenbaher ein neues Brückenkonzept entwerfen, dessen Verwirklichung vor allem Brüssel zu verdanken ist. 2018 sagte die EU zu, 85 Prozent der ursprünglich auf 418 Millionen Euro veranschlagten Kosten zu übernehmen. Neben der U-Bahn von Porto ist die Pelješac-Brücke damit eines der kostspieligsten EU-finanzierten Infrastrukturprojekte.
Die Brücke wurde zwar weitgehend von Europa bezahlt, aber von Chinesen gebaut. Wegen des günstigsten Angebots und der kürzesten Bauzeit erhielt bei der Ausschreibung der chinesische Staatskonzern CRBC den Zuschlag. Mit dem wegen nötiger Tunnel und Viadukte sehr aufwendigen Bau der Zufahrtsstraßen wurde die österreichische Strabag sowie der griechische Avax-Konzern beauftragt.
Herausfordernder Bau
Die Brückenbauer hatten zahlreiche Bedingungen und Tücken zu beachten. Einerseits durfte die Brücke ausschließlich über kroatisches Gewässer führen und musste auf Drängen Sarajevos hoch genug sein, damit auch größere Schiffe noch das bosnische Neum ansteuern können. Andererseits wurde die Brücke in einem Erdbebengebiet mit regelmäßigen Stürmen errichtet. Zudem durfte deren Bau keineswegs die auf klares Wasser angewiesene Austernzucht in der Bucht von Mali Ston gefährden. Hohe Windschutzwände an den Fahrbahnen sollen die Passage auch an stürmischen Tagen ermöglichen. Zumindest die ersten unfreiwilligen Erdbebentests bei kleineren Beben im nahen Bosnien hat die neue Brücke unbeschadet überstanden.
Sorgen und Chancen in Bosnien
Dennoch werden bei den nun umfahrenen EU-Nachbarn in Bosnien auch Sorgen laut: Der Wegfall des Transittourismus dürfte der Gastronomie in Neum Einnahmeverluste bescheren.
Doch die lange Vorlaufzeit hat es Sarajevo ermöglicht, die negativen Folgen des Brückenbaus abzufedern. Mithilfe von günstigen Krediten der Europäischen Investitionsbank (EIB) und Weltbank wurde in den letzten beiden Jahren eine neue Fernstraße von Stolac nach Neum gebaut – und damit die Anbindung ans bosnische Hinterland und nach Mostar erheblich verbessert.
Bereits in den letzten beiden Corona-Sommern erlebte Bosniens verschlafener Küstenort wegen des vermehrten Andrangs von heimischen, aber auch serbischen Touristen einen ungekannten Boom. Kroaten wiederum steuern das schmucklose Neum schon seit einigen Jahren wegen der geringeren Kosten vermehrt für die Ausrichtung von Familienfesten an: Allein der blühende "Hochzeitstourismus" dürfte einen Teil der Einnahmeausfälle aus dem Transittourismus kompensieren.
Die bessere Anbindung ans Hinterland macht Bosniens bisher kaum angesteuerten Küstenstrich nun auch für die Kreuzfahrtriesen interessant: Von Neum lassen sich dank der neuen Straße leicht Tagesausflüge nach Mostar, die Wasserfälle von Kravica oder den Wallfahrtsort Medjugorje organisieren.
Bitte warten
Obwohl die Pelješac-Brücke selbst rechtzeitig fertiggestellt wurde, hatte die Pandemie in den letzten beiden Jahren vor allem bei den Zufahrtsstraßen für Bauverzögerungen gesorgt – und die eigentlich noch vor Beginn der Sommersaison geplante Eröffnung verhindert. Auch die Folgen des Ukrainekriegs sind an den Bauarbeiten nicht spurlos vorüber gegangenen. Wegen der stark gestiegenen Preise für Strom und Baumaterialien wird sich die ursprüngliche Kostenkalkulation wohl kaum einhalten lassen.
Wie die bald über die Brücke donnernden Touristen müssen sich auch die Bewohner von Ston mit der Fertigstellung der neuen, acht Kilometer langen Umgehungsstraße gedulden: Noch bis zum Jahresende wird sich der Transitverkehr durch die mittelalterliche Kleinstadt quälen. Bis 2029 soll die neue Brücke Teil der geplanten Autobahn nach Dubrovnik werden. "Wir verbinden unser Territorium", freut sich Verkehrsminister Oleg Butkovic.
Thomas Roser (Belgrad)