Der Greenpeace-Atomexperte Jan Vande Putt warf IAEA-Chef Rafael Grossi ein "unzulängliches Risikomanagement" in Bezug auf Tschernobyl vor. Die IAEA habe sich nur auf bestimmte Dosisraten konzentriert. Durch die von russischen Soldaten in der Atomruine aufgewühlte Erde herrsche aber ein viel komplexeres Bild vor. Die von Greenpeace gemessene radioaktive Strahlung sei zwischen 0,2 und 7,7 Mikrosievert pro Stunde gelegen.
"Der IAEA fehlt es an Objektivität. Sie schätzt die Risiken der Atomkraft nicht unabhängig ein", sagte Thomas Breuer, Atomexperte von Greenpeace-Deutschland. Die Umweltorganisation warf der IAEA außerdem besonders enge Beziehungen zur staatlichen russischen Atombehörde Rosatom vor.
"Verbrechen gegen die Umwelt und gegen die globale Wissenschaft"
Greenpeace beschuldigte Russland, im Zuge der Besatzung der Atomruine Tschernobyl ein "Verbrechen gegen die Umwelt und gegen die globale Wissenschaft" zur Vermeidung von Atomgefahren begangen zu haben. Des weiteren stelle das russische Vorgehen auch ein Verbrechen gegen die Arbeiter und Feuerwehrleute in der Atomanlage dar. Landminen und die Zerstörung von Monitoringsystemen zur Messung von Radioaktivität würden insbesondere die Feuerwehren vor große Probleme stellen.
Nach Angaben von Sergiy Kirieev, Generaldirektor des SSE Ecocentre in Tschernobyl, haben russische Soldaten ein Fläche von 80 Quadratkilometer Wald in der Sperrzone von Tschernobyl durch Feuer zerstört. "Russische Soldaten haben in radioaktivem Abfall gegraben und Atommüll verbrannt", sagte er.
"Eine tickende Zeitbombe"
Der Greenpeace-Atomexperte Shaun Burnie forderte den sofortigen Abzug des russischen Militärs aus dem Atomkraftwerk Saporischschja im Südosten der Ukraine. Das AKW sei "eine tickende Zeitbombe". Es könne angesichts des Kriegs zu weit schwerwiegenderen Atomunfällen kommen als in Tschernobyl.
Die Grünen forderten eine unabhängige Behörde für den Strahlenschutz. "Die neuen Messwerte aus Tschernobyl sind erschreckend hoch", sagte der Anti-Atom-Sprecher der Grünen, Martin Litschauer, laut Aussendung. "Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima, aber auch jetzt, mehren sich Stimmen, dass die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) nicht transparent mit Zahlen umgeht und vor allem den Schutz der Umwelt nicht im Fokus hat."