Ein Jahr nach der verheerenden Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sind noch ein Viertel der Versicherungsfälle offen. Insgesamt hätten die Versicherer aber bereits 5 der 8,5 Mrd. Euro versicherten Gesamtschäden ausgezahlt, teilte der deutsche Branchenverband GDV am Mittwoch mit.

Verzögerter Wiederaufbau

In den offenen Fällen hätten Versicherte oft große Teile des Schadens bereits ersetzt bekommen, sagte Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Der Mangel an Handwerkern und Material sowie steigende Baukosten verzögerten den Wiederaufbau, der dem Verband zufolge im Einzelfall noch zwei, drei Jahre dauern könnte.

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Die Handwerkskammer Koblenz (HwK) geht jedoch davon aus, dass der Abschluss des Wiederaufbaus im stark betroffenen Ahr-Tal noch lange nicht bevorsteht. "Es wird noch sieben, acht Jahre dauern, bis es wieder den Endzustand erreicht hat", sagte HwK-Hauptgeschäftsführer Ralf Hellrich der Nachrichtenagentur Reuters. "Eine Infrastruktur, die den Tourismus in einer schönen Gestaltung zulässt, ist vielleicht schon in ein, zwei Jahren wieder möglich - nicht an allen Orten, aber doch an einigen." Hellrich erwartet nicht, dass die ursprünglich für Rheinland-Pfalz angesetzte Schadensumme von 15 Milliarden Euro erreicht wird. "Am Anfang hatten wir viel höhere Schäden geschätzt - auch bei den Betrieben." Generell hätten die Versicherer "extrem schnell reagiert".

180 Menschen kamen ums Leben

Bei der Flutkatastrophe kamen im Juli 2021 in Deutschland etwa 180 Menschen ums Leben. Die Naturrisikoforscherin Annegret Thieken von der Universität Potsdam bezifferte die Gesamtschäden auf mindestens 33 Milliarden Euro. Für die Versicherer war es die teuerste Naturkatastrophe in Deutschland. Sie verzeichneten insgesamt 213.000 Schadenfälle, davon 40.000 beschädigte Autos und andere Fahrzeuge, 54.000 Fälle in der Hausratversicherung, 91.000 beschädigte Wohngebäude und 28.000 Firmen, die durch die starken Regenfälle ab dem 14. Juli Sachschäden und Betriebsunterbrechungen meldeten.

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In den Katastrophengebieten mussten über 2.000 Einfamilienhäuser mit versicherten Schäden von mehr als 100.000 Euro wieder instand gesetzt werden. Im Kreis Ahrweiler lag der Durchschnittsschaden laut GDV bei 210.000 Euro pro Wohngebäude. "Das ist der höchste jemals gemessene Schadendurchschnitt bei Wohngebäuden." Insgesamt lag der Schaden rund um Wohngebäude im Schnitt bei 42.100 Euro, der größte Schaden bei einem Einfamilienhaus betrug 960.000 Euro.

Der Wiederaufbau sei bei weitem noch nicht abgeschlossen, erläuterte Sabine Krummenerl, Vorsitzende des GDV-Ausschusses Privatkunden. "Es fehlt häufig Material, es fehlen noch immer Handwerker." Die Inflation bei Baupreisen dürfte künftig zu höheren Versicherungsprämien führen.

Debatte um Pflichtversicherung

Als Konsequenz der Flut debattiert die Politik über eine Pflichtversicherung gegen Naturgefahren wie Hochwasser und Überschwemmungen, die die Branche allerdings skeptisch bewertet. Ähnlich sieht dies die Finanzaufsicht BaFin. Die deutsche Bundesregierung soll bis Dezember einen Vorschlag machen. Einer KfW-Umfrage zufolge plädieren 63 Prozent der Haushalte für eine Pflichtversicherung. Eigentümer (69 Prozent) stimmen dabei deutlich häufiger zu als Mieter (59 Prozent). Derzeit sind nur rund die Hälfte der Gebäude gegen Extremwetter versichert.

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Die Versicherer fordern vielmehr größere Anstrengungen zur Schadensvermeidung - etwa durch Bauverbote in hochwassergefährdeten Gebieten, Bauen auf Sockel oder ohne Keller. "Eine Pflichtversicherung allein verhindert keinen Schaden", sagte Asmussen. Es fehlten dann Anreize für Prävention. Hier habe es in der Ahr-Region fast nur "homöopathische Dosen" gegeben, denn bis auf 34 Häuser seien alle Gebäude an gleicher Stelle wieder aufgebaut worden, kritisierte Asmussen. Wegen des Klimawandels seien weitere Katastrophen absehbar, nicht nur in den besonders gefährdeten Gebieten.