Nachdem ein Gletscherbruch an der Marmolata (Marmolada) in den Alpen des norditalienischen Trentino mindestens sechs Menschen in den Tod gerissen hat, sind vier Todesopfer identifiziert worden. Dabei handelt es sich um drei Italiener und einen Tschechen. Ein Mann und eine Frau müssen noch identifiziert werden. Zu den 20 Vermissten zählen auch deutsche und rumänische Staatsangehörige, teilten die Rettungseinheiten mit. "Wir haben wenig Hoffnung, die Vermisste lebend zu finden", gab der Leiter des Trentiner Zivilschutzes, Raffaele De Col, zu.

Die Identifizierung könnte länger dauern, eine Obduktion könnte notwendig werden. Die Zahl der Opfer der Marmolata-Tragödie wird wahrscheinlich noch steigen. Die geborgenen Leichen sind nach dem Gletscherbruch mit Eis, Steinen und Geröll zerstückelt, daher sei es schwierig, die genaue Zahl der Todesopfer zu erkennen. Aus diesem Grund sind am Montag DNA-Tests vorgesehen: Die genetischen Daten werden mit denen von Familienmitgliedern und Verwandten abgeglichen.

Die Eisplatte löste sich laut Bergrettungsdienst in der Nähe von Punta Rocca, entlang der Aufstiegsroute zum Marmolada-Gipfel. Dabei wurde auch der normale Aufstiegsweg auf den 3.343 Meter hohen Berg getroffen, auf dem sich mehrere Seilschaften befanden. Zwei davon wurden von der Eisplatte mitgerissen. Angesichts akuter Lawinengefahr musste die Suchaktion mit Drohnen fortgesetzt werden. Die italienische Alpinrettung richtete eine Telefonnummer ein, um Angehörigen von Vermissten zu erlauben, sich mit den Rettern in Verbindung zu setzen.

Trauer über Tragödie

"Wir sind vor Trauer über diese große Tragödie erschüttert. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien, aber natürlich auch bei den Rettungskräften, die auf der Marmolada im Einsatz sind", sagte der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher, der in ständigem Kontakt mit seinem Trentiner Amtskollegen Maurizio Fugatti steht. Die Provinz Bozen hat ihre Bereitschaft bekräftigt, Hilfe zu leisten.

Dutzende Menschen, die sich an Ort und Stelle befanden, wurden von Rettungseinheiten ins Tal gebracht. Ein Schwerverletzter wurde per Hubschrauber in das Krankenhaus der Stadt Treviso geflogen, zwei weitere wurden ins Spital von Belluno eingeliefert. Die anderen fünf Verletzten befinden sich im Krankenhaus von Treviso. Bei zwei Verletzten handelt es sich um zwei Ausländer. Genauere Angaben zur Staatsangehörigkeit der Todesopfer und der Verletzten gab es noch nicht.

Große Gefahr weiterer Lawinen

Die Gefahr weiterer Lawinen ist groß. Alle alpinen Rettungsstationen in der Region Trentino wurden aktiviert, fünf Hubschrauber und Dutzende von Rettungseinheiten seien auf dem Weg zum betroffene Gebiet. Die Suche nach Vermissten sei auch mithilfe von speziellen Geräten voll im Gange. Die Such- und Rettungskräfte mussten äußerst vorsichtig vorgehen, weil die Gefahr bestand, dass weitere Eis- und Felsstürze folgen könnten. Der Zugang zum Gletscher auf der Marmolada wurde nach dem Unglück gesperrt.

"Wir haben ein lautes Geräusch gehört, typisch für einen Bergsturz", sagte ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur ANSA. "Danach sahen wir eine Lawine von Schnee und Eis in hoher Geschwindigkeit in Richtung Tal stürzen und wir wussten, dass etwas Schlimmes passiert ist."

Temperaturrekord von zehn Grad am Gipfel

Der Präsident des Trentino, Maurizio Fugatti, erreichte die Dolomiten-Ortschaft Canazei, wo eine Einsatzzentrale eingerichtet wurde. Am Samstag war auf der Marmolada ein Temperaturrekord von zehn Grad am Gipfel gemessen worden, die Durchschnittstemperatur der vergangenen Jahre lag etwa bei sieben Grad. Der Marmolada-Gletscher ist der größte Gletscher in den Dolomiten und befindet sich auf der Nordseite der Marmoladagruppe. Diese liegt in den Provinzen Trient und Belluno.

"Der Klimawandel hat das Hochgebirge instabiler gemacht und die Gletscher sind nicht mehr im Gleichgewicht", erklärte der Glaziologe Massimo Frezzotti von der Universität "Roma Tre" gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur ANSA. "Eisplatten sind das Ergebnis eines natürlichen Prozesses, aber wenn die Temperatur zu hoch wird, kann das Risiko eines Einsturzes steigen", erklärte Frezzotti. "Der Gefrierpunkt liegt viel höher als der des Gletschers. Es ist klar, dass es nicht ratsam ist, unter solchen Bedingungen zu wandern", so Experten.

Höchste Erhebung der Dolomiten

Die Marmolata (italienisch: Marmolada) ist mit 3.343 Metern Meereshöhe die höchste Erhebung der Dolomiten. Zeugen sagten, dass ein Turm aus Gletschereis, der sich an einer Abbruchkante vor einer stärkeren Hangneigung gebildet hatte, an zwei Stellen abgebrochen ist. Die Folge war eine Lawine aus Eisbrocken, die auf einer Breite von etwa 300 Metern in die Tiefe stürzte. In der Fallrichtung der Eismassen befanden sich die Alpinisten.

„Wir haben plötzlich einen fürchterlichen Lärm gehört“, sagte einer der Verantwortlichen der Hütte Rifugio Castiglioni Marmolada. „Wie von einer Bremse. Dann haben wir eine Art von Lawine aus Schnee und Eis gesehen, die mit wahnsinniger Geschwindigkeit ins Tal geschossen ist. Da haben wir gewusst, dass etwas Schlimmes passiert ist.“ Mit dem Fernglas könne man von der Hütte aus den Abbruch sehen. „Es ist wahrscheinlich, dass sich da oben noch was aufgetürmt hat.“

Reinhold Messner: "Grund ist Erderwärmung"

Der frühere Extrembergsteiger Reinhold Messner sieht in dem Gletschersturz in den Dolomiten mit mehreren Toten eine deutliche Folge des Klimawandels und der Erderwärmung. "Diese fressen die Gletscher weg", sagte der 77-Jährige der Deutschen Presse-Agentur nach dem Unglück vom Sonntag.

Messner erinnerte daran, dass von Gletschern immer größere Gefahr ausgehe, denn wegen der ungewöhnlich warmen Temperaturen in diesen Zeiten werden sie immer instabiler. Just an den Abbruchkanten bilden sich dann sogenannte Eistürme - Seracs genannt - "die so groß sein können wie Wolkenkratzer oder Häuserzeilen", erklärte Messner.

Der Südtiroler, der als erster Alpinist alle 14 Achttausender der Welt bestiegen hatte, kennt Seracs, etwa aus dem Himalaya. Er mahnt, Touren auf Eis nur mit Bergführer zu machen. Vorfälle wie an der Marmolata "werden wir häufiger sehen", prognostizierte er. "Heute gibt es viel mehr Fels- und Eisabbrüche als früher."

"Die globale Erwärmung kommt aus den Ballungszentren und Städten, von den Autobahnen und Fabriken", sagte Messner. "Aber wir in den Bergen merken sie, schon seit 30 Jahren sehen wir mit bloßem Auge, wie die Gletscher schmelzen. Dazu muss man kein Wissenschaftler sein."